Wie Vögel gegen den Wind

Auf dem Dach der Welt, vom 14.04. – 09.05.2011

Heute hat uns der Hafer gestochen. Oder eher die Gerste, da man diese hier in Tibet eher isst. Obwohl – zum Frühstück taucht die obligatorische Tsampa, als Pulver, Brei oder wie auch immer, nicht auf, leider! Im chinesischen Kernland ist das Hotel-Frühstück oft schon jenseits von nahrhaft. In Tibet können wir eigentlich komplett darauf verzichten und verdrücken lieber Unmengen von Bananen, Äpfeln, Keksen und Müsliriegeln als Start des Tages. Dazu ein Instantkaffee oder ein frisch aufgebrühter Tee – und dann kann das tibetische Hochland kommen!
Heute kommt es besonders stark. Heinz legt eine Bronchitis bedingte Ruhepause ein und steigt auf das Begleitfahrzeug um. Und Sabine und mich sticht besagte Gerste. Bei der ersten Pause auf dem ersten Pass, der eher bescheiden und ohne viel Gegenwind daherkommt, rechne ich vor: Insgesamt 105 Kilometer bis zur nächsten Passhöhe, das ist zu schaffen. Dann nur noch 40 km strikt bergab. Können wir schaffen, müssen aber nicht. Auf jeden Fall hätte Heinz dadurch eine zugige Dorfübernachtung gespart und wir könnten unsere diversen grösseren und kleinen Wehwehchen bei einem zusätzlichen Ruhetag pflegen und wären trotzdem geradelt. Spätestens zur Mittagspause in Longma und mit einem Blick auf das Gasthaus, das sicherlich unter normalen Umständen erträglich wäre, aber eben mit zugigem Aussenklo und spartanischem Komfort daherkommt, ist Sabine überzeugt.

Also stärken wir uns mit Nudelsuppe und Eierreis, schnüren die Jacken zu und radeln los. Strikt bergan, über 40 Kilometer, durch ein karges Hochtal, dass aber durchaus seinen Reiz hat, mal mit dem Wind, mal gegen den Wind. Und es geht uns gut. Der finale Anstieg lacht und wäre wohl nur noch eine Formalie, wäre da nicht der Wind, der am Hang festhängt und stetig gegen uns bläst. Wir werden zum beliebten Fotomodell mehrerer chinesischer Tourgruppen, lassen Yak und Felder unter uns liegen und stehen schliesslich auf dem Pass. Auf 4.520 Metern Hoehe. Bei fast 0 Grad. Die Abfahrt gönnen wir uns noch, 10 Kilometer Schussfahrt, dann haben wir genug. 123 Kilometer zeigt der Tacho an, die restlichen 25 Kilometer locken zwar, doch die Kälte spricht für ein warmes Hotelzimmer. In Lhatse hat das Hotel zwar sämtliche Klimaanlagen (die ja auch als Heizung dienen können) abmontiert, nur die Halterungen hängen noch an der Wand. Aber es gibt Heizdecken!!! Das warme Bett verlassen wir nur noch auf ein schmackhaftes Sichuan-Mahl, dann fallen wir wohlig in die Federn. Und träumen von warmem Wetter.


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Gute Bilanz

Tal des Roten Flusses, 09.04. bis 01.05.2011

Heute stand die letzte Rad-Etappe an. Zugegeben war ich etwas skeptisch. Seit einer Woche ist es durchgehend stark bewölkt und die Sichtweite war immer recht eingeschränkt. Aber vorher gab es ja noch den Nationalpark zu erkunden. Wegen Zeitdruck teilte sich die Gruppe auf: Einige wollten eine Wanderung zum Tausendjährigen Baum, andere lieber die Primaten-Rettungsstation besichtigen. Ich entschied mich für die Wanderung. Bevor wir losgehen konnten, mussten wir allerdings noch ca. 15 km mit dem Pickup fahren. Duong ist heute mal gefahren. Man hätte meinen können, er wäre auf der Flucht. Immerhin sind wir heute auf der Straße die Jäger und nicht wie sonst die Gejagten. Auf Wanderungen durch den Urwald entdeckt man am Tage natürlich keine Bären, Lemuren oder seltene Vögel. Mit der Atmosphäre und Geräuschkulisse konnte man sich aber trotzdem vorstellen, man sei Indiana Jones auf einem Spaziergang durch seinen Vorgarten.

Zusammen ging es dann vom Hotel mit den Rädern los auf die letzte Etappe. Eine bisschen wehleidig ist man dann schon. Einige Schutzbleche sind gebrochen, die Schaltungen teils verschlammt und die Rahmen sahen den Umständen entsprechend aus. Aber auf den letzten 50 km, gab es auch keine Ansprüche auf Äußerlichkeiten mehr. Die Räder hatten gute Dienste geleistet und so sollten sie sich auch präsentieren. Als dann die Karstberge der trockenen Halong Bucht sich zeigten und die Sonne seit einer Woche sich wieder raus traute und die Berge mit goldenem Spätnachmittagslicht umhüllte, war das Szenario für unsere letzten 15 km nach Ninh Binh perfekt. Da konnten auch die zwei platten Reifen heute mir nichts mehr anhaben.
Wehmütig, schraubten wir Klickpedale und Lenkertaschen ab und schickten die Räder zurück nach Hanoi, wo sie geduldig auf die nächste Tour und ihre neuen Herrschen warten werden.

Zum Abendessen gab es zur Abwechslung auch mal Pommes Frites. Aber nach der Woche mit zwei Nudelsuppen pro Tag wollte sich darüber auch keiner beschweren. Aber um das ganze wieder auszugleichen gab es zur Verdauung Schlangenschnaps. Probiert haben wir alle mal. Naja… wegen des Geschmacks würde ich den jetzt nicht empfehlen. Die erwartete maskuline Wirkung trat auch nicht ein (zumindest bei mir nicht!).

Auf etwa 900 km mit 9 Leuten, 4 Platten, eine gebrochene Speiche, eine verbogene und keinen einzigen Sturz. Das nenne ich mal eine saubere Leistung!


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Es gibt kaum Reis, Baby

Die Drei Schluchten des Yangzi, 13.04. bis 08.05.2011

Die gestrigen Mühen haben sich gelohnt, die Wanderarbeiter-Kohorten haben uns heute eine butterweiche Fahrt beschert. Durch ein mal wieder wunderschönes Tal, ohne Verkehr, man käme kaum aus dem Fotografieren, würde man es nicht irgendwann einstellen. Hier gibt es jetzt endlich vereinzelt Reisfelder, auch wenn Weizen und Gerste nach wie vor tonangebend sind, die meisten dieser kleinen Parzellen liegen außerdem noch brach und manchmal wächst Lotus darin. Die Reissaison kommt mit dem Regen und der fängt demnächst erst an. Einige Bauern können es nicht abwarten und setzen den Reis schon jetzt in ihr Stückchen Land, nach alter Tradition jede Pflanze in den Boden drückend. Da hilft irgendwann auch kein Kieser-Training mehr. Mittlerweile gibt es rückenschonendere Verfahren (meistens sind die Setzlinge mit einem Erdklumpen beschwert und werden in die Suppe geworfen, sie pflanzen sich dann quasi selber ein). Aber bei solch winzigen Feldern besteht sicherlich eine besondere Bindung zu jeder einzelnen Reispflanze.

Die Ausnutzung jeder kleinen Ecke, jedes Stück Hangs, ist besonders in China. 7% des weltweit nutzbaren Ackerlandes müssen hier 22% der Weltbevölkerung ernähren. Das ist eine große Leistung. Land ist kostbar, verschwenderisch sollte damit nicht umgegangen werden. Auf winzigen Terrassen wird Weizen angebaut, das muss mehr oder weniger zum Eigenverbrauch sein (der Weizen braucht im Gegensatz zum Reis eigentlich viel Platz, um eine ordentliche Ernte abzuwerfen). Die wilden Hügelketten und die absurd scheinenden Terrassierungen darauf sind jedenfalls ein Augenschmaus. Mittags gab es eine richtig harte Steigung und die Sonne brannte auf uns hernieder, danach wieder eine lange Abfahrt mit allerhand kleinen Ablenkungen.

Wie haben wir dieses Wetter verdient? Wir haben es uns erarbeitet! Indem wir heute Nachmittag möglichen Regen gewarnt und hinweggeböllert haben (gute chinesische Tradition, nicht umsonst der Name „Chinakracher“). Und auch indem wir uns sklavisch der Zahlenmystik unterworfen haben. Gehalten wird etwa unter keinen Umständen bei km 44 (Unglückszahl). Jutta, Albin und Matthias haben sich ein Nummernschild „Zhongguo 888“ (Glückszahl) anfertigen lassen und ans Fahrrad gehängt etc. pp.

Außerdem essen wir immer schön auf, man darf nicht arrogant werden.


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