Vergangenheitsbewältigung

Südlich der Wolken, 16.07. bis 07.08.2011

Vergangenheitsbewältigung, Teil 1
Im Frühflieger von Kunming nach Shangri-La erinnere ich mich zurück: Fast auf den Tag genau vor zehn Jahren war ich das letzte Mal in Shangri-La. Damals hieß der Ort noch Zhongdian, und so wird er auch immer für mich heißen. Diese absurde Umbenennung, nur weil man hier den mystischen Ort aus James Hiltons fiktiver(!) Erzählung Der verlorene Horizont (englisch: Lost Horizon) meint gefunden zu haben, mache ich einfach nicht mit. Damals war es mein zweiter Besuch, der erste fand ein Jahr zuvor statt. Zhongdian war ein verschlafenes Nest, eher Gesichtslos mit den typisch chinesischen Betonbauten, die alle chinesischen Städte zieren. Der Verkehr war spärlich und es gab nicht eine einzige Ampel in den wenigen Straßen. Aber der Ort war im Umbruch begriffen: So gut wie jede Straße war eine Baustelle, denn der Fortschritt hielt Einzug und Schritt eins davon war die Verlegung einer Kanalisation! Baustellen in China stauben meist recht kräftig, daher witzelte einer meiner Teilnehmer damals, die Tour sollte doch eher „Südlich der Staubwolken heißen“.
Zehn Jahre später habe ich ein Déjà vu: Straßenbaustellen ohne Ende! Nun erfolgt Schritt fünf oder sechs des Fortschrittes. Alle Kabelleitungen, die bisher überirdisch und teilweise sehr abenteuerlich verlegt waren, werden nun unter die Straße verbannt. Vorher war das Motto „Unsere Stadt soll Moderner werden“, jetzt heißt es „Unsere Stadt soll Schöner werden“. Dazu passt auch…

Vergangenheitsbewältigung, Teil 2
Wenn es einen Eintrag für „Die jüngste Altstadt der Welt“ im Guinnes Buch der Rekorde gäbe, China wäre Rekordhalter. Überall im Reich der Mitte bekommen Städte von touristischem Interesse eine neue Altstadt verpasst. Dafür wird meist ein bestimmtes Viertel oder gleich das ganze Stadtzentrum komplett platt gemacht und an dessen Stelle etwas aufgebaut, was wie alt aussieht bzw. von dem chinesische Stadtplaner glauben und hoffen, dass die zukünftigen Touristen es für alt halten. Schöne bzw. nicht so schöne Beispiele sind Dali, Shanhaiguan und Datong. Um nur drei zu nennen.
Und auch Zhongdian. Die Altstadt ist ca. fünf Jahre alt.

Zurück zur Tour! Wie schon erwähnt durften wir den Frühflug von Kunming nach Shangri-La nehmen. Also den um 8:00 Uhr. Ankunft in über 3.000 Meter Höhe knapp eine Stunde später. Unsere erste Frage am Flughafen: „Gibt es hier auch irgendwo Sauerstoff“. Tensin, unser lokaler Reiseleiter für zwei Tage, lächelt verständnisvoll und bittet uns in den Bus einzusteigen. Kurze Fahrt zum Hotel, ein ebenso kurzes aber dafür teures Frühstück dort, denn unsere Zimmer sind noch nicht bezugsfähig.

Endlich dürfen wir auf die Zimmer, schmeißen unsere Sieben Sachen in die Ecke und präparieren unsere Fahrräder. Das liest sich flott, hat aber etwas länger gedauert. Zeitlupentempo ist alles, was Lunge und Herz erlauben. Nachdem die Räder unseren Wünschen entsprechen machen wir uns auf für die erste Ausfahrt mit Muskelkraft.
Auf dem Programm steht das Songzanlin Kloster. Dazu schreibe ich jetzt nichts, denn Tempel sind mir weniger wichtig als Alltagskultur (sagte ich das nicht bereits?).


[map style=“width: auto; height:400px; margin:20px 0px 20px 0px; border: 1px solid black;“ gpx=“https://china-by-bike.de/blog/wp-content/uploads/2011/07/2011-07-21.gpx“]

Ein Wetter für den Mann in schwarz

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Der Mann in schwarz wurde nicht in Nashville sozialisiert, er kommt aus Kiel und heißt Lutz. Weil er aus Kiel kommt, war das sein Wetter heute: ein tiefer Himmel, ein zugiger Wind, hin-und wieder Regenschauer, herrlich! Der Wind kam von Nordost und man sah jeder Kehre gespannt entgegen, er blies dann meistens von der Seite, eigentlich ganz fair. Wir haben die Etappe gut hinter uns gebracht, windzersaust und um einige dramatische Eindrücke reicher. Immer nur blauer Himmel wäre ja auch langweilig.

Gestern war blauer Himmel. Vom grünen Rand des Barkol-Gebirges sind wir in das Bogda-Gebirge geradelt, hinein in eine zerklüftete und ziemlich bizarre Berglandschaft. Kamele säumten unseren Weg, teilweise große und unbeaufsichtigte Herden. Am Anfang waren wir natürlich aufgeregt, zum Schluss haben wir den Anblick ebenso gleichmütig hingenommen wie die Tiere den unseren. Lässig stehen sie in der Prärie herum, die Kamele, den Blick in die Ferne gerichtet. Ihren eigentlichen Zweck als Transporttiere erfüllen sie kaum noch, sie werden für ihr Fleisch gezüchtet. Das muss teuer sein. Unser Kamelflüsterer würde niemals Kamelfleisch essen. Unser Kamelflüsterer ist Frank, er bewegt sich behutsam auf die halbwilden Tiere zu, sie lassen sich von ihm streicheln. Was er flüstert darf niemals verraten werden! Vielleicht pfeift er ihnen auch ein zartes Tremolo, oder er singt etwas für sie, in leisem Bariton. Das kann er gut. (Auch Esel fressen ihm aus der Hand, wahrscheinlich alle Tiere…).

Die Kameldichte nimmt langsam ab. Wir hatten in einem kasachischen Dorf übernachtet, sehr traditionell und unvorbereitet (es geht manchmal nicht anders, man geht dorthin und fragt sich durch). Heute hatten wir einen kleinen Wettersturz und die 44 Grad aus Hami sind zwischenzeitlich auf 16 Grad zusammengeschrumpft. Keine Menschen hier, man ist der Natur ausgesetzt, ein auf-und ab durch das Gebirge und später durch die Steppe. Jetzt sind wir in der kleinen Stadt Mulei und rechtschaffen müde nach den knapp 250km der letzten beiden Tage.

P.S. der Track scheint nicht richtig angezeigt zu werden, ich reiche ihn nach. Bin im Internetladen von Mulei und muss jetzt mal schlafen gehen.


[map style=“width: auto; height:400px; margin:20px 0px 20px 0px; border: 1px solid black;“ gpx=“https://china-by-bike.de/blog/wp-content/uploads/2011/07/2011-07-211.gpx“]