Ein Paradies für Landratten

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Monika hat zu viel Energie. Ihre Annahme, als Kind ein Kraftwerk verschluckt zu haben, ist richtig. Zwischen zwei harten Etappen zieht sie noch mit der Jugend von Barkol die halbe Nacht um die Häuser. Am Himmelssee war Sie erschüttert (nicht übertrieben!), nach 110km nicht noch die extremen Steigungen zum Himmelssee hochfahren zu dürfen, während wir anderen (ich jedenfalls), insgeheim wohlig aufseufzten. Jetzt schreibt sie Gastkommentare, klar dass Monika nicht ausgelastet ist. Das ist jetzt meine dritte Reise mit ihr, jedesmal gab es zum Schluss der Tour eine Lesung ihrer Reiseimpressionen, das war immer toll, ich hoffe und denke auch diesmal, weil sie ja nie schäft. Und schön dass sie mir einen Eintrag macht, am Himmelssee konnte ich abends gedankenlos vor mich hinsummen ohne mir Gedanken machen zu müssen, warum…

Noch kurz zum heutigen Tag: über belebte Straßen ging es vom Himmelssee nach Urumqi, der Hauptstadt von Xinjiang, rein in die Menschen. Die Provinz ist dramatisch dünn besiedelt, gerade mal 20 Millionen leben hier auf einer Fläche, die ein Sechstel der gesamten Volksrepublik (oder fast 5x die Fläche von Deutschland) ausmacht. Nicht so Urumqi: eine relativ neue, exponentiell wachsende, Han-chinesische Stadt. Viele Menschen leben hier, fast 3 Millionen – erstmal gewöhnungsbedürftig, zumindest bei der Einfahrt.

Und was ist Dekadenz? In Urumqi Sushi zu essen, und zwar nicht zu knapp. In Urumqi, der Hauptstadt der Provinz Xinjiang, der am weitesten vom Meer entfernten Stadt der Welt. Egal, abends im populärsten Buffet-Restaurant der Stadt gab es alles, wir mittendrin, gerade noch vor dem Verhungern errettet.


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Der Himmelsee. Der Weg dahin. Der Weg herum.

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Hier ein Gastbeitrag meiner geschätzten Monika:

Die Königsetappe wartet. Und dafür müssen Opfer gebracht werden. Das erste Zugeständnis ist eine Straßen-Nudelsuppe um 7:00 Uhr plus Kaffee mit dem Hotelwasserkocher. Ein chinesischer Straßenreinigungswagen fährt mit dicken Wasserstrahl und lauthals plärrender Diskomusik dabei mehrfach um uns herum. Dann los. Ein Traumstart. Der Himmel strahlt aus wie mit einem Wischmop geputzt. Wolkenlos und mit blauer Farbe angemalt. Links liegt unser Ziel – das Bodga-Gebirge. Die höchsten Gipfel haben blendend weiße Schneekappen aufgesetzt und die Vorberge wie einen üppigen Königsmantel vor sich aufgefaltet. Dieter pedalt vorneweg. Auf seinem Lenker hat er alles installiert was möglich ist. Tasche mit Fotoausrüstung, Halterung fürs Streckenprofil, Kompass und natürlich das GPS. Nur den Rückspiegel musste er murrend wieder einstecken. Kein Platz mehr.
Die Sonnenblumen auf den Feldern strecken ihre Gesichter kollektiv zur Sonne hin. Wir kommen an großen Tomatenfeldern vorbei. Die Ernte ist bereits von HEINZ bestellt und wird zu Ketchup verarbeitet. Die nächste Tüte Pommes-Schranke zu Hause werden wir mit mehr Ehrfurcht verzehren.

Die angekündigten 140 km lassen uns mit den Kräften haushalten. Nach der Landwirtschaft kommt der nächste Erwerbszweig – schwarze Steinkohle. Abgebaut unter Tage. Hierher kommen all die großen roten Lastwagen, die uns bereits den ganzen langen Weg wild hupend begleiten und uns ihren heißen Abgas-Atem zuweilen ins Gesicht fauchen. Rasselnd füllt die monströse HEAVEN DRAGON MINING COMPANY die leeren LKW-Ladefläche auf. Wir machen Pause und füllen auch auf. Kohlenhydrate – In Form von Gemüsenudeln. Zufrieden wischt sich Martin den Schnauzbart ab. Nahrungsergänzungsmittel und Doping in Form von gerösteten Lammspießchen kommen noch dazu. Jan kauft den gekühlten Inhalt einer Getränketruhe auf, jetzt sind vorbereitet. Königsetappe heißt in Fakten – erst mal 105km lockeres Aufwärmen und dann kommt zum Tagesabschluß ein Anstieg von 1650m. Hoch zum Himmelsee. Unsere kleine Gruppe zerfällt in zwei Lager. Die Hälfte stellt geistig bereits kleiner Reservierungsschildchen auf die Rückbänke unseres Fahrzeugs, das tapfer hinter uns hertuckert. Die anderen wollen hoch. Ganz? Die Hälfte? Mal sehen. Hurra – auf geht’s!

Motiviert bis an die Haarspitzen kommen wir zum Ticketoffice. Ein nagelneues Betongebäude hockt in der Landschaft. Dazu viele Parkplätze. Unmengen an Shuttlebussen. Jan furcht die Stirn. Das war doch letztes Jahr noch nicht da. Er geht los – die Lage klären. Leider gibt es da nicht viel zu klären. No Way. Keine Möglichkeit für Radler, Begleitfahrzeuge. Keine Ausnahme. Nichts. Freude und Frust. Heimliche Erleichterung und offensichtliche Enttäuschung. Die Emotionen sind unterschiedlich. Ein persönliches Geständnis. Ich bin sauer … stinksauer. Mitsamt dem Tagesgepäck werden wir in klimatisierte Busse gepfercht und mit klebrigen Musikvideos beschallt. Für alle, denen der spektakuläre Bergblick zu langweilig ist. 30 Minuten lang werden wir so über Serpentinen den Berg hochgekurbelt. Ja, es ist viel Verkehr. Ja, es ist spät. Ja, es hätte ein paar Stunden gedauert. Ja, wahrscheinlich ist es auch richtig hier nicht hochzuradeln. Ja, ja, ja – trotzdem……

Unsere Jurten liegen in einem kasachischen Camp. Sind groß und schön. Die Toilettenanlagen sind auch sehr großzügig. Eigentlich über das ganze angrenzende Waldstück verteilt. Zum Abendessen kreisen Milane über uns.
Dann ist Ruhetag. Eine kleine Wanderung um den türkis schimmernden Bergsee. Kein Problem – unser Gastgeber stimmt uns positiv. Gestern hatte er dänische Gäste – diese geübten Bergwanderer sind in 2 Stunden um den See spaziert. Ehm… wir brauchen 10 Stunden. Hört sich mühsam an – ist aber wunderschön. Wir begegnen auf der ganzen Umrundung keinen anderen Wanderern. Kommen an Jurten vorbei und trinken Tee mit Kasachen die dort wohnen und auf ihr Vieh aufpassen – kreuzen Bergbäche mit unseren Schuhen in der Hand. Hüpfen in stillen Buchten in den klaren See.

Nach 6 Stunden sitzen wir auf einer Anhöhe in einer kleinen Pagode – die letzten Kekse sind aufgegessen und wir fabulieren über die besten Currywurstbuden in Deutschland. Wo sind sie? Im Gärtnerplatzviertel in München – niemals – selbstverständlich in Kreuzberg, Berlin. Zaghafte Versuche auch schwäbische oder schweizerische Imbissbuden zu nominieren scheitern. Wir stiefeln die letzten der 16.482 Stufen bis zu unserem Jurtencamp zurück und fallen ausgehungert über Reis, Gemüse und Kartoffeln her, die unsere schmale Kasachen-Gastgeberin auf ihrem kleinen Eisenofen für uns vorbereitet hat. Energisch klappert sie mit dem Geschirr, die Perlenkette um den Hals vibriert mit, wenn sie erklärt dass wir nicht mit den Schuhen in die Jurte dürfen, keine fremden Waschplätze benutzen oder wir uns endlich zum Essen hinsetzen sollen. Heute ist es friedlicher. Die Wochenendgäste sind alle abgereist. Schön ist es. Wir haben unseren Frieden mit dem Himmel und dessen See geschlossen.


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火把节, das Fackelfest

Südlich der Wolken, 16.07. bis 07.08.2011

Am Vorabend habe ich mich noch ein wenig mit Sean unterhalten. Sean, der eigentlich Xia Shanquan heißt, ist DAS touristische Urgestein der Tigersprungschlucht. Er war der erste, der eine einfache Unterkunft für ausländische Backpacker anbot, er hat den Höhenweg Streckenweise ausgebessert und vor allem ausgeschildert. Seine Berghütte hat er nach und nach ausgebaut, jetzt stehen mehrere komfortable Zimmer mit eigenem Badezimmer für die Gäste bereit. Seit elf Jahren übernachten unsere Gruppen bei ihm.

Da der gestrige Tag anstrengend war und uns heute nur eine relativ einfache und kurze Strecke bevor steht gönnen wir uns einen langen Schlaf, erst um 10:30 Uhr brechen wir von Seans Guest House auf. Wie schon die letzten Tage meint es das Wetter gut mit uns. Während der Wanderung gestern hatte es nur mal kurz getröpfelt und heute starten wir bei strahlendem Sonnenschein. Die ersten 22 Kilometer durch die Schlucht geht es immer wieder mal steil bergauf und wir blicken ein wenig furchtvoll die Abhänge zu unserer Rechten hinauf. Viele Felsbrocken auf der Straße zeugen davon, dass hier immer wieder mal ein Steinschlag abgeht. Aber wir schaffen es heile aus der Schlucht heraus zu kommen.

In Qiaotou treffen wir auf den Fahrer unseres Begleitfahrzeugs für die restliche Tour. Wie sich herausstellt kenne ich Herrn Wang schon seit über zehn Jahren, damals hat er noch im Verkaufsdepartment eines Hotels in Lijiang gearbeitet. Und seine Frau war es, die Volker und seine Gruppe auf der Reise Der Lange Fluss bis kurz vor Shanghai begleitet hat.

Für den restlichen Weg nach Shigu entscheiden wir uns für die neue Straße. Entlang der alten Straße wird gerade die Autobahnverlängerung von Dali nach Qiaotou gebaut, wie wir von der letzten Gruppe und Herrn Wang wissen.

Mittagspause machen wir in einem Ort, der laut Herrn Wang einfach nur Entwicklungsgebiet heißt. Kaum sitzen wir in der Garküche prasselt ein kräftiger Regen herunter. Wie passend. Es tröpfelt nur noch leicht als wir unsere Fahrt wieder fortsetzen und wir erreichen Shigu trocken.

Herr Wang lässt uns kaum Zeit zum Ausruhen. Denn heute ist das Fackelfest der Naxi und wir sind bei Herrn Wang, der in Shigu und Lijiang zu Hause ist, zum Abendessen eingeladen. Das Fackelfest wir von mehreren Volksgruppen in Yunnan und Sichuan gefeiert, darunter den Yi, Bai, Hani, Lisu, Naxi, Pumi und Lahu. Die genauen Ursprünge des Festes sind nicht bekannt. Vielleicht lässt es sich mit unserem Osterfeuer vergleichen. Fast jede Volksgruppe feiert an einem anderen Tag, aber immer um den 15. Tag des sechsten Monats nach dem Mondkalender herum. Drei Tage lang werden abends vor den Häusern Fackeln aus getrocknetem Holz angezündet.

Knapp eine Stunde nach unserer Ankunft in Shigu sitzen wir am üppig gefüllten Tisch, außer Fahrer Wang noch sein Vater, sein Bruder, und sein Schwager. Der fünfjährige Sprössling von Herrn Wang, Wang Hai, springt aufgeregt um uns herum, fuchtelt mit seiner Spielzeug-AK47 und demonstriert Kungfu-Künste. Kinder sind doch überall auf der Welt gleich. Männer auch, denn Opa Wang holt alsbald Hochprozentiges hervor und fordert uns kräftig zum Mittrinken auf. Teilweise erfolgreich. Als es endlich dunkel ist wird vor dem alten Haus die Fackel entzündet, ganz zum Entzücken von Wang Hai.
Leicht beschwipst stolpern wir durch die engen Gassen der Altstadt von Shigu zu unserem Hotel zurück.


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