Welt. Kultur. Erbe.

Südlich der Wolken, 16.07. bis 07.08.2011
„Tag zur freien Verfügung“ steht auf dem Programm. Für Jürgen (und damit auch Vera) eher „zur freien Erholung“. Jürgen hat gut geschlafen, aber die Schmerzen im Schulterbereich sind sein ständiger Begleiter. Sein größtes Leiden ist jedoch, dass er nun die Radetappen nicht mehr mitmachen kann.

Keine zwanzig Jahre ist es her, da war Lijiang noch eine Stadt. Genauer gesagt eine Kleinstadt. Es gab eine Altstadt und eine Neustadt. Die Altstadt war rückständig, durchzogen von verwinkelten Steingassen, durch die kein motorisiertes Fahrzeug fahren konnte. Bebaut mit Häusern aus Holz und Lehm, die keine Kanalisation hatten und oft keinen Stromanschluss. Dort lebten die Menschen nicht wie vor zwanzig Jahren, sondern wie vor zweihundert Jahren. Fast jedenfalls. In der Neustadt standen Betonbauten der chinesischen Frühmoderne, errichtet nach Schema F, als gäbe es nur einen einzigen Architekten in China.

Dann wackelte die Erde, 1996 erschütterte ein heftiges Erdbeben die Stadt. Sicherlich war es nicht das erste Beben in dieser Region, denn während die Altstadt das Beben fast unversehrt überstand stürzten in der Neustadt die Betonhäuser massenhaft in sich ein. Hätten die neuen Architekten mal von den alten gelernt!

Dieser Umstand hat scheinbar die Weltkulturerbekommission beeindruckt, denn ein Jahr später, 1997, stand Lijiang auf der Liste. Was nun folgte war eine Kulturrevolution der zweiten Generation und sicherlich (hoffentlich!) nicht im Sinne der Kommission. Die Altstadt wurde praktisch entkernt und jedes zweite Haus in einen Laden, ein Restaurant oder ein Hotel für Touristen umgebaut. Hauptsächlich für chinesische Touristen, denn das alles geschah zu einer Zeit, als die Chinesen begannen ihr eigenes Land zu entdecken, weil sie plötzlich und zum Glück die Zeit und das Geld dafür hatten.

Heute ist Lijiang keine Altstadt und keine Neustadt mehr. Heute ist Lijiang Stadt des inländischen Tourismus. Ein alter Charme ist gegangen, ein neuer ist gekommen. Darauf muss man sich einfach einlassen.

Auch ich hatte heute meinen „Tag zur freien Verfügung“. Den habe ich unter Anderem damit genutzt mir Radhandschuhe zu kaufen. Die habe ich nämlich in Deutschland vergessen.

Die „Bilder des Tages“ zeigen unser Hotel in Lijiang. Nett, nicht wahr?

Und: 祝你生日快乐,哥哥!

Wind

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Das Folgende hat wieder Monika geschrieben, ich habs halt gut…

Ich habe Jan versprochen gelegentlich ein paar Blog-Zeilen zu verfassen. Dafür schraubt er am Fahrrad herum oder besorgt ein kaltes Bier. Faire Arbeitsteilung also. Ich frage ihn nach dem heutigen Wunschthema (Briefing nennen das die Texter). Schreib doch mal was über ein völlig abwegiges Thema meine er: z.B. Wind.

Das war heute unser zweit-meistbenutztes Wort. Deutlich überrundet aber von dem Ausruf ‚WOW!‘

Die genannt Luftbewegung kann stark oder schwach ausfallen. Zärtlich streicheln und die Hitze verjagen. Hämisch von vorne fauchen und die Kraft aus denn Beinen saugen . Wie ein guter Freund die Hände auf die Schulterblätter legen und gleichmäßig schieben. Oder die ganz fiese Art – seitlich kommen und mit voller Wucht versuchen den Fahrer aus der Spur werfen. Heute gab es das ganze Portfolio.

Eigentlich ist die Stecke heute 180km lang. Praktisch nur bergab. Jan klaut uns gleich morgens die ersten 40 Kilometer. Aus der Stadt raus geht es mit dem Auto. Zuerst mal Fahrräder suchen. Das Hotel hat unsere Stahl-Rösser gut verwahrt. So gut dass keiner mehr weis wo. Wir befreien sie aus einem verwinkelten Kellerverlies, heben sie auf die Ladefläche und dann eine Stunde später runter.

Unser Wind-Freund hat schon auf uns gewartet und setzt uns gleich energisch in Bewegung. Ob wir wollen oder nicht. Glücklicherweise haben wir uns für die gleiche Richtung entschieden und machen Strecke. Noch ist es eben, keine Steigung nach oben oder unten. Pappeln biegen sich im Wind. Getreidefelder in heftigen Wellenbewegungen sind besonders schön anzusehen. Die Landschaft ist – nun ja WOW! Wir winken dem Bogda-Bergen einen letzten Gruß zu und biegen in eine Art Canyon ein. Dazu müssen wir ca. 250 m gegen den Wind anradeln und brauchen dazu etwas so lange wie für die nächsten 25 Kilometer. Es bläst uns praktisch rückwärts bergauf.

Dann geht es wieder bergab. Auf einer wenig benutzten Autobahn jagen wir mit dem Wind um die Wette. Er schiebt. Wir bremsen. Er schiebt mehr. Wir bremsen dann irgendwann nicht mehr und jagen lauthals jauchzend talwärts. Bis zu 60 Stundenkilometer sind wir schnell. Leichtsinnig? Ja! Aber … geil!!!

Am Ende des Canyons stehen Hunderte von Windrändern – der zweitgrößte Windpark der Welt. Die letzten Kilometer kämpfen wir mit dem Seitenwind. Fahren in der Mitte der Straße, liegen völlig quer und uns hinterher erleichtert in den Armen. Wir schaffe es gerade noch nicht völlig verblasen auf den seitlichen Schottersteinen zu landen. Nie – wirklich nie zuvor haben wir solche Windstärken erlebt.

Michael rettet sich die letzten Meter mit dem fünften Platten zu unserem Fahrzeug, das uns wieder einsammelt. Hinten, vorne, hinten usw. Ständig fehlt die Luft. Die Schweizer halt. Schuldbewusst schaut er aufs Vorderrad.

Alles was wir nicht festhalten ist weg. Unwiederbringlich.

Was bleibt in Turfan. Ein Abschied von den Rädern. Ein traumhaftes Abendessen auf dem Nachtmarkt. Eine Karaoke-Nacht und das Wissen, einen unvergesslichen Tag erlebt zu haben.


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