Die Stadt der Hunde

Auf dem Dach der Welt, 27.09. bis 22.10.2011

Der Tag gestern fühlte sich nach Western an. Wir sind wir durch eine Landschaft gefahren, durch die sich selbst John Wayne nur tapsigen Schrittes bewegt hätte. Und den Ort, an den wir gekommen sind, hätte auch er nicht aufräumen können. Die Plattentektonik hat für vulkanische Aufbrüche gesorgt, außerdem stapelt sich Sediment auf Sediment: horizontal, vertikal, in alle Richtungen. Die verrücktesten Gesteinsformationen in braun und rot, soweit das Auge reicht. Am Nachmittag schließlich kam wieder der Mahalangur Himal in Sicht, das Hauptgebirge am Südrand des Himalaya.

Wir waren schon fast am Etappenziel angelangt, den heißen Quellen von Tsamda, das Hotel vor Ort stellte sich als halb abgerissen heraus, in den restlichen paar Zimmern verlustierte sich die lokale Polizei, da kann man dann wenig machen. Vor ein paar Tagen hat man uns dort noch gebucht und unser Geld genommen… Also zurück in den Ort, den wir bei der Durchfahrt noch herzlich verlacht hatten: Tingri besteht aus einer einzigen versifften verstaubten Straße und diese Straße haben die Hunde übernommen. Es gibt in Tingri mehr Hunde als Einwohner. Meistens liegen sie faul an den unmöglichsten Orten, dann rottet sich plötzlich alles zusammen und gräbt im Müll, dann wieder Pause. Glücklicherweise nicht aggressiv, und die Nacht war auch ruhiger als erwartet. Man hat sich hier miteinander arrangiert. Bei den heißen Quellen haben wir übrigens heute noch einmal vorbeigeschaut und alles war herzlich glücklich, dass uns das erspart geblieben ist.

Unsere Herberge war sogar einigermaßen anständig, Touristen sind hier keine Seltenheit: viele Bergexpeditionen starten von Tingri, vor allem zum Cho Oyu, der den gesamten Horizont beherrscht. Den Nachmittag verbrachten wir dann träge an der Straße sitzend. Hunde und Kühe liefen vorbei, ab und zu auch interessante tibetische Gestalten. Aber Strom gibt es im Ort noch nicht: Abendessen bei Kerzenlicht, wie auch zu unserer altruistische Skatrunde im Anschluss. Alle Gelder gehen in die Gruppenkasse und man erwartet nicht mal Dank dafür, obwohl das angebracht wäre.

Die Gegenden, durch die wir kommen, werden entlegener und entlegener. Kaum mehr Fahrzeuge, keine Ansiedlungen, kaum Menschen. Wir nächtigen heute in einem der ganz wenigen Straßensiedlungen des letzten Teilstücks der 318, hier ist dermaßen der Hund begraben, aber eigentlich sorgen die Hunde für die einzige Geräuschkulisse. Die Etappe heute sah auf dem Papier nach höchster Entspannung aus, dann hat nach dem Mittagessen plötzlich der Wind gedreht und uns die letzten 20km frontal erwischt. Fast 3 Stunden haben wir noch gebraucht, begleitet von regelrechten Sandstürmen. Ich hoffe mal morgen wird das anders, denn morgen wird spannend: unsere letzten richtigen Pässe und dann auf in die längste Abfahrt der Welt.


[map style=“width: auto; height:400px; margin:20px 0px 20px 0px; border: 1px solid black;“ gpx=“https://china-by-bike.de/blog/wp-content/uploads/2011/10/2011-10-15-2.gpx“]

Ein scharfes Programm – Wanderung nach Dazhai

Berg und Wasser, 08. bis 29.10.2011

Zu aller erst: Es ist kaum zu glauben – ich erlebe diesen Ort bei Sonnenschein! Ich habe mir bei der heutigen Wanderung sogar einen leichten Sonnenbrand geholt!

Zum Frühstück sind wir am heutigen Morgen in das Dorf hinunter gegangen. Der Koch unseres Hotel ist nämlich temporär abwesend, da er eine kranke Verwandte pflegen muss, die sich nicht bewegen kann. Der Restaurantbesitzer hat alle Hände voll zu tun, uns sieben und einen weiteren Gast zu bedienen. Seine Frau sei heute nicht daheim, entschuldigt er sich.
Alle sind glücklich über den strahlenden Sonnenschein und so fällt uns die Entscheidung nicht schwer, zum etwa 10 km entfernten Dazhai zu wandern.

Zunächst führt uns unser Weg noch durch die Reisterrassen von Ping‘an, wo wir, zu Simones Leidwesen, die erste Schlange entdecken. Später wird die Landschaft waldiger, dann wieder Reisterrassen, flacher diesmal als in Ping‘an. Grabstätten blitzen aus den Feldern. Nach jeder Kurve, scheint es, eröffnet sich uns ein noch atemberaubenderes Panorama. Immer wieder terrassierte Reisfelder, aber wir können nicht genug davon bekommen.

Wir begegnen unterwegs Frauen aus den umliegende Dörfern. Sie bieten uns ihre Dienste als Guide an, wollen mir einreden, dass ich keine Karte lesen könne und sind zudem darauf aus, für uns zu kochen.
Ein besonders hartnäckiges Exemplar, das uns kurz vor der Ortschaft Zhongliu mit einer Bauerin entgegen kommt, hat Andreas, der voran läuft, als Führer unserer Gruppe identifiziert, spricht unaufhörlich auf ihn ein, immer wieder unterbrochen von lautem Lachen. Sie läuft den schmalen Weg flink vor und zurück, um uns zu zählen und dann wieder auf Andreas einzureden. Irgendwann sieht sie ein, das wir wohl nicht bei ihr essen wollen, also schwenkt sie um auf ihre andere Einnahme-Quelle: Sie will ihr Haar öffnen. Die Frauen der Minderheiten dieser Gegend, lassen ihr Haar traditionell sehr lang wachsen und haben gelernt Gewinn daraus zu schlagen. Für Touristen öffnen sie ihr Haar und lassen sich gemeinsam mit diesen fotografieren.
Jetzt gesellt sich zu unserer Begleiterin eine weitere Frau und die Diskussion wird hartnäckiger. Wir entschließen uns schließlich, die Show anzuschauen und die Frauen lassen ihr Haar herunter.

In Zhongliu machen wir kurz Rast, essen unsere Kekse, trinken etwas Kaltes, dann geht es auch schon weiter. Erst durch die verzweigten Gassen des Dorfes, mit seinen alten Holzgebäuden – überall liegen Chilis zum Trocknen aus, selbst eine riesige Satellitenschüssel wir dafür zweckentfremdet, „Scharfes Programm“ meint Heinz nur dazu – Dann empfängt uns wieder die weite Landschaft, sich übereinander stapelnder Reisterrassen. In der Ferne erheben sich dicht bewaldete Berge.
Die Sonne steht nicht mehr so hoch, eine ruhige nachmittägliche Stimmung hat sich über den Felder ausgebreitet. Uns begegnet kaum noch ein Mensch, nur ab und an sehen wir Einzelne in den Äckern arbeiten oder ihr Maultier den Pfad hinauftreiben.
Siggi hat einen kurzen unkonzentrierten Moment, stolpert vom Weg und fällt ins Reisfeld, übersteht das aber ohne weitere Schäden.

Irgendwann nach 16 Uhr erreichen wir Dazhai. Offensichtlich ist gerade Schulschluss, denn kleine Gruppen von Grundschülern rennen uns entgegen.
Mittlerweile geht es nur noch treppab. Wir sind sehr nah am Zielpunkt unseres Ausfluges, das merken wir daran, da uns vermehrt mit Reisegepäck beladene Träger und Reisende entgegen gekommen. Einige von ihnen haben sich offensichtlich gegen den (kostenpflichtigen) Service entschieden und ziehen missmutig ihre Rollkoffer die Stufen hinauf. Zwei Grazien auf (für diese „Straßenverhältnisse“) unerhört hohen Absätzen, stöckeln ebenfalls nach oben und ein ziemlich übergewichtiger Tourist mit Koffer, fragt mich triefend vor Schweiß, wo ich wohne und ob es noch weit ist. Als ich ihm sage, dass mein Hotel etwa 9 km entfernt ist, hält er mich wohl im ersten Moment für verrückt oder des Englischen nicht mächtig. Er wolle doch nur wissen wie weit es bis zu seinem Hotel sei, insistiert er.

Unten angekommen, buchen wir einen Minibus und fahren nach Ping‘an zurück, alle sind von der Wanderung angenehm geschafft und voller schöner Eindrücke.


[map style=“width: auto; height:400px; margin:20px 0px 20px 0px; border: 1px solid black;“ gpx=“https://china-by-bike.de/blog/wp-content/uploads/2011/10/2011-10-142.gpx“]

Königsetappe nach Tibet

Berge, Tempel, Thangkas, 24.09. bis 24.10.2011

75 Kilometer von Xunhua nach Tongren, 1700 hm über einen 3316 Meter hohen Pass, Abfahrt durch ein weiteres Monument-Valley bis nach Tongren, die tibetische Klosterstadt mit den Tankha-malschulen, 3 bis 15 Grad bei leicht trübem Sonnenschein

Heute Morgen sind die Temperaturen fast schon angenehm, aber wir sind ja auch so tief, wie noch nie auf dieser Reise zuvor. Unser frühstück verzögert sich heute wieder etwas, denn unter den Augen von 20 Moslems müssen wir vor der Frühstückskneipe noch einen Glassplitter aus dem Mantel entfernen und flicken. Dann kann es endlich wieder losgehen und heute wird unsere wohl anstrengendste Etappe, denn es geht 1700 Meter nach oben und zwar von Anfang an recht straff mit immer gut 5 % Steigung. Recht schnell sind wir aus dem moslemischen gebiet heraus und kommen jetzt ins richtige Tibet. Das ist zwar immer noch nicht die Provinz Tibet, aber die Region gehört zu der ehemaligen tibetischen Provinz Amdo. Über den Häusern wehen bunte Fahnen und überall gibt es kleine und große Stupa. An den Lehmhäusern wird Yakdung zum Heizen im Winter getrocknet und auch die Leute sind sichtbar tibetischer. Die Frauen tragen schwere Mäntel, lange haare und schweren Schmuck und die Männer sind alle recht kräftig, aber meist auch etwas zerlumpt und zerzaust. Von den negativen chinesischen Vorurteilen der Chinesen den Tibetern stimmt zumindest für sehr viele Tibeter eines: Waschen ist nicht ihre Stärke. Wäre auch meine nicht, wenn die Temperatur abends unter den Gefrierpunkt sinkt und man es nur noch in der Nähe des Kanonenofens aushält. Und so ein oder zweimal im Jahr geht auch der Tibeter in Badehaus, zumindest die meisten.
Seit langem habe ich mir wieder einmal den MP-3 Player ans Ohr gehängt und das kommt bei dem langen und konstanten Anstieg richtig gut, während sich die anderen doch recht mühen, klettere ich Schleife um Schleife recht schnell nach oben und der Höhenmeter zeigt recht schnell schon wieder 3000 Meter an, dann noch ein paar kehren und da ist schon der Pass. Oben liegt ein kleines tibetisches Dorf und die Dorfjugend schwingt sich aufs Motorrad und begleitet uns ein Stück.
Runter geht es dann mit 60 km/h auf gutem Asphalt wieder in ein wunderschönes Tal mit grandiosen Felsformationen, aber heute, wo es nicht so kalt ist, überwiegt die Freude an der schnellen Abfahrt. Leider haben wir dann unten einen Kettenriss, aber ich hatte mir in Beijing noch einen neuen Kettennietendrücker geholt und so konnte das Problem schnell gelöst werden. Am schwierigsten war es, das Ersatzteil, einen 5mm langen kleinen metallenen Stift im Gepäck zu finden, aber in einer geordneten Packtasche geht nichts verloren.
Vor Tongren grüßt uns ein erstes größeres Kloster mir tollen vergoldeten Stupa und auf dem weg in die Stadt folgen noch ein paar kleine Tempel. Das Hotel hatte ich recht schäbig in Erinnerung und schon die Rezeption ist eher abschreckend als einladend. Deshalb umso schöner die Überraschung das sie Zimmer alle in Ordnung und sogar geheizt sind. Das heiße Wasser tröpfelt zwar nur aus der Leitung, aber in jedem Zimmer steht ein Computer mit Anbindung zum Rest der Welt.
Abends begehen wir Ursula Geburtstag in einem recht guten Lokal mit großen Portionen an Fleisch und Gemüse, so wie es die Mönche am Nachbartisch auch tun. Wir sind ziemlich erstaunt, die Mönche hier dicke Portionen an Rindfleisch und Lammfleisch verspachteln zu sehen und das auch noch in einem Restaurant und manchmal ist wohl auch etwas dran an der Kritik der Chinesen, dass sich die hohen Lamas auf Kosten des Volkes den Bauch vollgeschlagen haben.
In Tibet ist es den Mönche zwar erlaubt, Fleisch zu essen, allerdings nur, wenn das Fleisch nicht für sie geschlachtet wurde, das heißt, wenn der Mönch irgendwo zum Essen eingeladen wurde. Im Restaurant wird das Fleisch aber sehr wohl für den gast geschlachtet, oder sehe ich das falsch mit meiner Religionskritik.


[map style=“width: auto; height:400px; margin:20px 0px 20px 0px; border: 1px solid black;“ gpx=“https://china-by-bike.de/blog/wp-content/uploads/2011/10/2011-10-141.gpx“]