Oh, Alter!

Land der Tausend Elefanten, 16.12.2011 bis 8.1.2012

5. Tag, vom Nam-Ngum-Stausee nach Vang Vieng

Beschaulich lässt sich für uns der Tag auf einer Barke an, wir gleiten in der Morgensonne über den Stausee. Noch leicht jetlägerig räkeln sich einige auf den Holzbänken in der Sonne, andere lesen und der Rest schaut den vorbeiziehenden Inselchen hinterher. Trügerische Idylle: Auf zwei der Inseln unterhält die Vientianer Regierung Gefängnisse für politische Gefangene, im kommunistischen Fachjargon ‚dekadente Elemente‘ genannt. In einem Staat, in dem faktisch keine Meinungsfreiheit vorhanden ist und die Urheber unliebsamer öffentlicher Äußerungen schnell als umerziehungswürdig beurteilt werden, kann der Weg hierher für jeden Laoten gegebenenfalls sehr kurz sein.

Wir gehen am nördlichen Ende des Sees am Fischerdorf Tha Heua von Bord und verabschieden uns vom Kapitän. Am Uferhang ist gerade eine Ferienanlage in noblem Teakholzgewand im Bau. Der französische Besitzer der Anlage kommt ebenfalls zum Steg, um uns in Empfang zu nehmen. Er weist auf einen Stapel Holzstämme, die in einigen Metern Entfernung liegen. Dies sei alles feinstes Teakholz, das aus dem Unterwasser-Holzeinschlag im See stamme. Es kämen Taucher zum Einsatz, die in der Tiefe mit Luftdruck betriebene Sägen schwingen. Was man dabei an Mehraufwand investiert, wird beim Transport wieder eingespart: Die Stämme flutschen durch ihren eigenen Auftrieb zur Wasseroberfläche und können unaufwändig mit Booten ans Ufer geschleppt werden, wo aus ihnen der nächste Ferienbungalow gezimmert wird.

Die Hauptstraße im Ort ist gesäumt von zahllosen Verkaufsständen, die hauptsächlich getrockneten Fisch aus dem See in allen Größen und Arten feilbieten, dessen Aroma sich in der Mittagshitze gut entfaltet. Olfaktorisch harmlos nimmt sich der Fisch allerdings aus gegenüber der Krabbenpaste, mit der Yong sich beim Mittagessen wie gewohnt seine Chilies bestreicht. Wir haben inzwischen – nicht ohne Genugtuung – beobachtet, dass auch er ab und an mit der Schärfe zu kämpfen hat und nach Luft ringend hektisch zu Reis und Wasser greift. Uns mundet die Nudelsuppe bislang auch ohne streng riechende und allzu feurige Zusatzwürze, und vom Glas mit der graufarbenen Krabbenpaste wird nur als Mutprobe (sehr!) kurz der Deckel gelüftet.

Die Strecke nach Vang Vieng, die wir anschließend in Angriff nehmen, ist nur laue 23 km lang, bietet aber eine Menge. Eine Menge Landschaft, denn bald schrauben sich beiderseits der Strecke die berühmten Karstformationen in den Himmel, denen unser heutiges Etappenziel seine große Beliebtheit verdankt. Leider auch eine Menge Schotter, denn bereits seit einiger Zeit ist hier eine Erneuerung des Straßenbelags in Planung. Gewissenhaft ist dazu in regelmäßigen Abständen der Asphalt aufgeschreddert worden. Seitdem ruhen die Arbeiten mit ungewisser Zukunft. Der Euphorie der Winkekinder entlang der Strecke tut dies zwar keinen Abbruch, verlangt uns aber eine neue Dimension radeltechnischer Finesse ab. Als wir Vang Vieng erreichen, haben alle aus der Gruppe eine neue Qualifikationsstufe auf dem Weg zum Prädikat ‚laosgeprüfter Radspezialist‘ erreicht. Mit Schmutzbier respektive fruchtigem Schmutzshake belohnen wir uns für den beachtlichen Lernfortschritt.

Vom Gewusel der Rucksackabenteurer, die Vang Vieng unlängst zu einem der wichtigsten Stationen des sogenannten „Banana Pancake Trail“ geadelt haben, bleiben wir vorerst unbehelligt. Das CBB-Büro hat unser Domizil hier mit Bedacht nicht zuvorderst nach zentraler Lage ausgewählt. Statt der wummernde Bässe der Partymeile begrüßt uns daher dankenswerterweise nur das dezente Plätschern des Xong-Flusses, an dessen Ufer wir heute unsere Bungalows beziehen.

Abends wagen wir uns zwecks soziologischer Erkundungen dann doch freiwillig ins Ortszentrum bis auf die Party-Insel vor. Für den Fall, dass irgendwelche Teenager eine(n) von uns kritisch beäugen und sich nach unserem Begehr erkundigen sollten, haben wir uns mit einer fabelhaften Ausrede gewappnet: ‚Ich? Äh… Ich suche nur meine Tochter‘. Wir finden, das dürfte absolut glaubhaft klingen. Das klägliche Resthäufchen Feiervolk, das wir antreffen, ist jedoch überwiegend zum Fragen zu betrunken; die meisten scheinen um diese Zeit bereits ihren Rausch auszuschlafen. Für die leckeren Crèpes vom Straßenstand und den echten Espresso in der örtlichen Bäckerei hat sich der Ausflug immerhin mehr als gelohnt.

Als uns auf der schmalen Brücke über den Fluss ein knapp Zwanzigjähriger mit einer ordentlich angetüdelten Schönheit auf dem Arm entgegenkommt und prompt anspricht, weil er uns Deutsch sprechen hört, ist die Anspannung nicht mehr zu halten und das zurechtgelegte Sprüchlein bricht aus Matthias heraus: ‚Ich suche doch nur meine Tochter.‘ Niedergeschlagenheit und Mitleid mischen sich im Blick des Zwanzigjährigen, als er daraufhin schwankend stehenbleibt und Matthias kopfschüttelnd intensiv mustert. Betroffen entfährt es ihm leise: ‚Oh, Alter!‘


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