Südliche Hauptstadt und unsentimentales Abschiedsmahl

Land von Fisch und Reis, 01.09. bis 24.09.2012

Nanjing. Tagesausflug

Das Nanjing mal Hauptstadt des riesigen chinesischen Reiches war, sieht man ihr auf den ersten Blick nur schwer an. Obwohl das letzte Mal als Regierungssitz der Republik gar nicht so lange her ist… auf dem Papier ist sie das ja immer noch! Das klingt jetzt für Außenstehende fast so komisch wie Westberlin damals. Die Stadt wirkt zwar lebendig, quirlig und ein bisschen stressig, aber welche Großstadt in China tut das nicht? Und mit Peking oder Shanghai lässt sich das hier dann doch nicht vergleichen. Vielleicht liegt es auch an den vielen Zerstörungen und Tragödien, die die Stadt immer wieder hinnehmen musste, wie zuletzt das Massaker während des chinesisch-japanischen Krieges. Vom Stadtbild, zeugt lediglich die (weltweit größte) Stadtmauer vom einstigen Zentrum des Reichs der Mitte, sozusagen dem ehemaligen Zentrum der Welt. Immerhin war Nanjing auch mal die bevölkerungsreichste Stadt der Erde.

Aber fangen wir von vorne an… Wir begannen unsere Nanjing-Tour, wo wir gestern haben liegen lassen – am Konfuzius-Tempel. Schnell hineingeschlüpft entkam man plötzlich dem ganzen Trubel um einen herum. Der Tempel zu Ehren des großen Meisters und aus heutiger Gleichberechtigungs-Sicht, Frauenmissachters stammt noch aus der Song-Zeit, wurde aber, wie alles in Nanjing, was älter sein soll als 100 Jahre immer wieder komplett zerstört und wieder aufgebaut. Ich nutzte die Chance und betete beim großen Lehrmeister für ein endlich erfolgreiches Abschließen meines Studiums. Zur Feier unseres letzten Tages ließen wir eine kleine Musikergruppe für uns den chinesischen Klassiker, Jasminblüte auf dem Glockenspiel vorspielen. Das erinnerte alles ein wenig an eine Jukebox: Lied auswählen, Geld zahlen, die Puppen tanzen. Der Tempel hier diente auch als Lehrstube und hatte nach hinten raus eine angegliederte Bibliothek, in der die chinesischen Klassiker auswendig gelernt und erörtert wurden.

Dieses Wissen aus dem klassischen chinesischen Kanon, deren Kernbestandteil aus 9 Büchern besteht, bildete für über ein Jahrtausend die Grundlage des Wissens der meisten Beamten im chinesischen Reich. Übertragen auf Deutschland wäre das in etwa so, als hätten Otto von Bismarck oder Konrad Adenauer, das alte und neue Testament und das Nibelungenlied auswendig lernen müssen… Eine doch recht skurrile Vorstellung. Wie dem auch sei… Dieses Wissen und Verständnis der klassischen konfuzianischen Literatur wurde dann in einer zentralen Einrichtung abgeprüft und für gut oder schlecht empfunden. Überreste eines solchen Institutes befinden sich noch heute in der Umgebung des Konfuziustempels. Der Komplex war bis Anfang des 20. Jahrhunderts noch in Betrieb und konnte gleichzeitig 20‘000 Prüflinge abfertigen. Ein Modell davon, wie es hier mal ausgesehen hatte lässt einen erschauern: Ewige Gänge mit winzig kleinen Kabinen überdecken das ganze Areal. Auf den ersten Blick wirkt das für unsereiner mehr wie ein KZ als eine Abi-Prüfungshalle. Die noch erhaltenen kleinen Prüfkabinen gaben einen guten Einblick, wie es den Prüflingen damals während der qualvollen 9-tägigen Prüfungszeit wohl ergangen sein muss. Geschlafen und gegessen wurde da wo man schreibt und nachdenkt. Raus kommt man erst, sobald man endgültig fertig ist. Da lob ich mir doch unser ach so verkorkstes Hochschulsystem.

Wieder raus aus der Höllen-Schule fuhren wir mit der nagelneuen U-Bahn unserem nächsten Ziel entgegen: dem Pupur-Gold-Berg. Das Areal ist von weitem erkennbar und ist von der Waldfläche her fast mit dem Grunewald in Berlin vergleichbar. Zwei der Gründe warum diese Fläche unangetastet und nicht zugebaut blieb liegen unweit von einander entfernt: Das Mausoleum des ersten Ming-Kaisers Hongwu (1327 – 1398), sowie das Mausoleum Dr. Sun Yat-sens, dem ersten Präsidenten der Republik China. Kaiser Hongwu ließen wir mal außen vor und besuchten Sun Yat-sen, bzw. Sun Zhongshan, bzw. Sun Yixian, bzw. Sun Wen, bzw. Deming, bzw. Rixin, bzw. Dixiang, bzw. Nakayama Shou. Kaum eine andere Persönlichkeit hatte zu seinen Lebzeiten so viele Namen angesammelt wie er. Als Revolutionärer half er, vor allem vom Ausland aus, beim Sturz der chinesischen Qing-Dynastie. Und wurde dann zum ersten Präsidenten der neuen Republik Chinas gewählt. Historiker streiten sich allerdings über seinen Einfluss, den er tatsächlich auf die geschichtlichen Ereignisse hatte, vielmehr war er wohl der richtige Typ, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Unumstritten dagegen ist seine Stellung, sowohl bei den Volks- als auch bei den Republikanern. Beide sehen und ehren ihn als Begründer des modernen Chinas. Derart umfassende positive Wahrnehmung hat noch kaum eine andere Persönlichkeit erreicht. Entsprechend pompös ist sein 1929 fertiggestelltes Mausoleum. Die Sicht von oben ist eindrucksvoll und erinnert einen wieder daran, dass man in der grünsten Stadt Chinas ist.

Anschließend ein kleiner Spaziergang durch den Xuanwu Park. Die ruhige Abendatmosphäre des Parks trug ein wenig zur melancholischen Abschiedsstimmung bei. Das half aber alles nichts. Immerhin waren wir noch auf der Suche nach einem angemessenen Lokal für unser letztes gemeinsames chinesisches Mahl. Die von unserem Taxifahrer empfohlene Fressgasse wirkte erst etwas befremdlich nach der ruhigen Parkanlage. Doch das Lokal, für das wir uns einig entschieden war wie gemacht für uns: Laut, lecker, stimmungsvoll, gezapftes Bier, Essen vom Tresen auswählen, Suzhouer Live-Volksmusik. Ein wahrer Volltreffer. Normalerweise wäre das eigentlich die Zeit für die sentimentalen Abschlussreden in einem ruhigen Separee. Katharina war es dank einer Magenverstimmung aber sowieso nicht sonderlich feierlich zumute. So spart man sich das zumindest für das gemeinsame Frühstück am nächsten Morgen, bevor sich alle von uns nach und nach am Flughafen verabschieden, die letzte gemeinsame Doppelglück geraucht wird und wir wieder unsere eigene Wege gehen… Vielleicht sieht man sich ja mal wieder… Bis zum nächsten Mal…
Niti

Print Friendly, PDF & Email

Kommentare sind geschlossen.