Dumpfmöse

Zwei Räder – Zwei Städte, 10. bis 24.10.2015

Fünf Stunden Bus, Fünf Stunden ICE (Harmony)

_DSC1656

„Shabi!“, ruft unser Fahrer. „Zao ni made!“

„Dunmpfmöse!“ „Fick Deine Mutter!“

Sein Schimpfwörterschatz ist so reichhaltig wie sein Fahrstil schlecht. „Alles Idioten, nur ich nicht!“, scheint er zu denken. Er wäre eine gute Besetzung für den Sketch: „Achtung, auf der A8 kommt ihnen ein Geisterfahrer entgegen!“ „Einer? Viele!“

Wir bremsen also virtuell mit und lernen Schimpfwörter. Wer auch immer die Mär von der chinesischen Höflichkeit in die Welt gesetzt hat, war noch nie in Peking. Hier wird an Genitales angelehntes Wortgut (eher Wortschlecht, Kalauer muss sein!) gebellt, dass es der Sau graust.

Wobei Dumpfmöse und Fick Deine Mutter eigentlich schon in den normalen Sprachgebrauch übergegangen sind. So eine Möse muss, rein linguistisch gesehen, auch gar nichts Schlechtes sein. Die Kuhmöse, also „Niubi“ auf Chinesisch, ist zum Beispiel die chinesische Entsprechung des deutschen „Geil!“. Kommt wohl irgendwie von „Chui Niu“, die Kuh aufblasen, beziehungsweise die Kuhhaut aufblasen, also „Niupi“, fast gleich ausgesprochen.

Jemand, der die Kuhhaut aufblasen konnte (um einen Fluss zu überqueren), war also ein Chui Niupi. Geblieben ist die Verbalhornung „Niubi“.

Warum ich das alles erzähle?

Richtig, heute ist Transfertag, und nicht viel passiert! Das würde unser Fahrer sicherlich anders sehen. „Wird nichts mehr, Mädchen!“, ruft er den verzweifelten Damen mit den viel zu hohen Stöckelschuhen zu, die versuchen, zwischen stinkenden Blechkisten doch noch ihren Zug zu bekommen.

Denn auch wenn das chinesische High-Speed-Rail-System grandios ist, wurde leider vergessen, die Bahnhöfe entsprechend auszustatten. Eine geschlagenen halbe Stunde brauchen wir von der Einfahrt zum Pekinger Südbahnhof bis zum Eingang. Was unseren Fahrer zu einer verbalen Mösenflut anspornt. Glücklicherweise sind wir aber rechtzeitig von der Chinesischen Mauer in Huanghua losgefahren und erreichen nach vier Stunden Fahrt tatsächlich die Eingangshalle. Vier Stunden für 60 Kilometer. Wenn sich irgendwo die Sinnlosigkeit des Autos als modernes Verkehrsmittel manifestiert, dann in China.

Im Bahnhof haben die Architekten dann leider die Wartesäle vergessen. Musste ja Platz für McDonalds UND Burger King sein und ein paar Dutzend überteuerte Geschäft mit Last-Minute-Geschenke-Tand. Aber immerhin: Am Südbahnhof erreicht man die Bahnsteige, ohne zuvor mehrere Treppenfluchten nach oben und unten gehastet zu sein.

Dann kehrt Ruhe und Entspannung ein. Ruhig und unspektakulär zieht der chinesische ICE mit konstanten 300 Stundenkilometern in Richtung Süden. Die Sitze sind bequem und die Klimaanlage wohl temperiert. Bester Beweis, dass die Chinesen den deutschen ICE nicht nur kopiert haben.

In Shanghai verbringen wir noch ein paar Minuten im Stau und drehen eine Extra-Runde durch die ehemalige französische Konzession, weil der Fahrer das Hotel nicht findet.

Um 21:15 sind wir dann endlich am Ziel, schmeißen unsere Koffer auf die gemütlichen Betten und haben Hunger.

Ich krame in meinem Gedächtnis nach einem geeigneten chinesischen Restaurant, das
1. Um diese Uhrzeit noch offen hat
2. Gut und günstig ist.

Denn die Gegend rund um die Hengshan Straße ist eher hip und schick. Die kleinen chinesischen Klitschen, die wir so lieben, sind hier eher selten.

„Pizza wäre auch OK!“, postulieren Anton und Heide.

„Ich hätte gerne Bratwurst mit Sauerkraut“, reißt Henning einen Witz.

Zehn Minuten später sitzen wir in der Shanghai Brewery zwei Straßenkreuzungen weiter und haben:
3x Pizza, 2x Margarita, 1x Pesto/Scampi
2x Deutsche Wurstplatte mit Sauerkraut

Dazu rotblondes Weizen aus der hauseigenen Brauerei.

_DSC1727

Auch das ist China!

Print Friendly, PDF & Email

Kommentare sind geschlossen.