Ein Tag in China

Auf dem Dach der Welt, 27.09. bis 22.10.2011

Die Bilanz heute morgen war nicht so verheerend wie gestern, aber einige von uns haben noch sehr mit der Höhe zu kämpfen. Und einige Mägen kränkeln noch dazu. Also besser kein straffes Programm heute, sondern viel Zeit für eigene Erledigungen und Vorbereitungen und Atemübungen, bevor es morgen endgültig losgeht. Den Vormittag zumindest haben wir zusammen verbracht, wir sind zum heiligsten Tempel Tibets geschlendert, dem Jokhang. Und hatten ihn nicht für uns alleine. Heute vor 62 Jahren wurde die VR China gegründet, zum Nationalfeiertag strömen die Massen und lassen kaum Raum übrig.

Um den Jokhang ranken sich viele Legenden, die eine und wichtigste davon (sowohl für die Tibeter als auch für die Chinesen, allerdings aus unterschiedlichen Gründen): nachdem der große König Songtsen Gampo im 7. Jahrhundert ein geschlossenes, starkes Tibet geschaffen hatte, wurden ihm sowohl die nepalesische Prinzessin Bhrikuti als auch die chinesische Prinzessin Wencheng zum Weibe gegeben. Beide brachten eine Statue des historischen Buddha Shakyamuni mit nach Lhasa und schafften es, den König zum Buddhismus zu bekehren. Für die Statuen wurden die Tempel Ramoche und Jokhang gebaut, bis heute sind es die ältesten und verehrtesten Heiligtümer Tibets. Für die Tibeter fängt nämlich hier ihre buddhistische Geschichte an und es gibt wohl kaum eine Kultur, die so in ihrer Religion verhaftet ist. Die Chinesen verweisen auf die große kulturelle Einflussnahme ihrer Prinzessin und bezeichnen sie als die eigentliche Herrscherin Tibets in dieser Gründerzeit.

Letztendlich haben die Chinesen gewonnen. Der tibetische Buddhismus musste ins Exil und keiner weiß, was nach dem 14. Dalai Lama passieren wird (die Prophezeiungen, dass er der letzte sein soll, gab es schon lange vor der Machtübernahme der Chinesen). Lhasa ist von chinesischen Touristen, Geschäftsleuten, vom Militär beschlagnahmt. Das Aufgebot an Soldaten ist unglaublich, an jeder Ecke und auf den strategisch gelegenen Dächern stehen Uniformierte. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie es ist, hier zu leben, aber man scheint sich damit abgefunden zu haben. Die Atmosphäre ist einigermaßen gelassen, zwei Parallelwelten, die aneinander vorbeitreiben. Eine gewisse Weltenthobenheit ist in diesem Fall von Vorteil (das war auch das Ergebnis unseres kleinen Rollenspiels, der Mönch war von seinen Peinigern nur schwer zu beeindrucken, siehe Bildmaterial).

Morgen also die erste Radetappe, zunächst nicht so schwierig, in den Folgetagen aber respekteinflößend. Wir haben uns heute mit dem letzten Nötigsten eingedeckt und sind gewappnet. Internet wird es erst wieder in Gyantse geben, das ist in drei Tagen. Ab ins Nichts, Arrivederci!

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Shambala-lalalalala

Auf dem Dach der Welt, 27.09. bis 22.10.2011

Nur zerschlagene Gesichter beim heutigen Frühstück. Der reduzierte Sauerstoff in dieser Höhe lässt das Herz schlagen und manchmal den Kopf dumpf vor sich hin pochen. Die Atmung beschleunigt sich, die Kehle ist trocken. Das waren meine Phänomene heute Nacht: interessant, aber für einen wohligen Schlaf ungeeignet. Und den Anderen ging es ähnlich. Das wird nicht anhalten, es ist schon jetzt viel besser geworden. Die meisten von uns haben das gängige Kräuterzeug gegen Höhenkrankheit eingeschmissen (Rosenwurz/Hongjingtian), welches mir von Volker empfohlen wurde. Und wir haben ja auch drei Apotheker dabei, geballte Expertise für alle Lebenslagen. Die schlaflose Nacht ließ die Treppen des Potala trotzdem bis in den Himmel wachsen, was hysterisch war, wie sich heute herausgestellt hat.

Denn es war ein vielleicht etwas träger, aber auch ein sehr schöner Tag. Zum Potala soll man eigentlich nicht gleich am Tag nach der Ankunft, aber wir hatten keine andere Wahl. Für einen Besuch muss man sich vorher anmelden und bekommt dann ein Zeitfenster zugewiesen. Die Besucherquoten sind beschränkt und zu allem Überfluss nehmen die Goldenen Wochen gerade Fahrt auf (rund um den Chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober scheint das ganze Land in Bewegung zu sein). Also schön, dass wir überhaupt die Ehre hatten…die Treppen gingen wider erwarten gut, Laba war in Topform und hat mit rollenden Augen und ausholenden Gesten seine Geschichten erzählt.

Der Sitz der Dalai Lamas (der ehemalige Sitz, muss man ja inzwischen sagen, daran wird sich wohl auch nichts mehr ändern) ist gewaltig, düster, prunkvoll. Ich spare mir mal geschichtliche Ausführungen, im Potala ist so viel passiert, das kann man nicht kurz abhandeln. Aber man kann die Bedeutung, die der Palast für die Tibeter hat, an deren Verhalten erkennen: von den alten Frauen, die mit der Gebetsmühle in der Hand die Kora (heilige Runde) um ihn drehen und sich dann davor niederwerfen. Oder von den Pilgern, die in den wenigen begehbaren Räumen die Butterlampen am Leuchten halten. Diese Pilger inmitten des Touristenflusses scheinen völlig aus der Welt gefallen zu sein.

Mit den Rädern hat es dann wieder länger gedauert als erwartet, aber das ist ja immer so. Wir bezahlen Leute vor Ort, die uns die Räder in Bestzustand vor das Hotel stellen sollen. In Lhasa hatten die Räder den langen Transport aus Beijing hinter sich, dann ist eine gute Wartung natürlich besonders wichtig. Tatsächlich sah es so aus: die Lenker waren verkehrt an den Vorbau montiert, die Reifen waren nicht aufgepumpt (weil es in ganz Lhasa keine ordentliche Pumpe für französische Ventile gibt), die Räder insgesamt waren mit einer dicken Staubschicht bedeckt etc. Es war noch viel zu tun. Irgendwann sind wir dann doch noch eine kleine Schleife zum Lhasa-Fluss und durch die Altstadt gefahren.

Das Abendessen im House of Shambala war gut. Shambala: das Reine Land des tibetischen Buddishmus, wir wurden dabei passenderweise bestens unterhalten von einer Gruppe Tschechen, die im Nebenraum zur Gitarre Kirchenlieder sangen. Und leider hatte ich meinen Fotoapparat dann nicht mehr dabei, denn eine schöne Szene waren die Panikkäufe auf dem Rückweg: Kartonweise Wein, der jetzt bis Kathmandu reichen muss.

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Ennui in der Business-Class

Auf dem Dach der Welt, 27.09. bis 22.10.2011

Flugzeit heute nur 1:15h, trotzdem sind wir von einer Welt in eine andere geflogen. Vom provisorischen Chaos Nepals hinein in das kontrollierte Tibet, vom grünen Monsun in die braune Bergwelt. Über 2000m Höhenunterschied (Lhasa liegt auf etwa 3600m), das wirkt sich gerade etwas auf das Bewusstsein aus. Wie in Watte ist das hier, eigentlich nicht unangenehm. Also, der Flug war zwar kurz und trotzdem waren wir den ganzen Tag dafür unterwegs, das Chaos braucht schließlich seine Zeit und die Kontrolle auch. 4km bis zum Flughafen von Kathmandu bedeuten 45min, 65km vom tibetischen Flughafen Gongkar nach Lhasa brauchen auch nicht viel länger. Außerdem wurde auf die lustige Nepal Zeit (+3:45) noch einmal 2:15 draufgeschlagen, in Lhasa herrscht selbstverständlich Beijing Zeit.

Mit dem Flug haben wir nettes Geld in die Gruppenkasse gespült. Im Vorfeld waren nur noch Business Class-Tickets zu haben, von Kathmandu aus geht der einzige internationale Flug nach Lhasa und der scheint beliebt zu sein. Gestern Nacht wurden wir von ernsten und entschlossenen Nepalesen kontaktiert, die uns unter allen Umständen einige der Tickets abkaufen wollten, kanadische Reisende konnten und wollten nicht auf das Business-Class Privileg verzichten, das ist verständlich. Wir haben sie die Hälfte unserer Tickets in die Economy-Class umtauschen lassen, für ordentliches Geld und Fensterplätze mit Everest-Blick. Auf dem Flug lasen die Kanadier die meiste Zeit Zeitung. Ich will nicht wissen, was der Veranstalter für diese Bequemlichkeit leisten und ausgeben musste: wie sie uns überhaupt ausfindig gemacht haben, und dann haben sie uns aufgelauert, verhandelt, Mittelsmänner eingesetzt, die Airline für die Namensänderungen bestochen.

Der Flughafen von Kathmandu macht seinem Land alle Ehre, verplant und höchst sympathisch. Gate 5 wurde uns angesagt, der Sicherheitsmann konnte den Schlüssel zum Gate nicht finden, also mussten alle von Gate 4 aus über das Rollfeld laufen. Vier von uns dann in der Holzklasse mit Blick auf Everest und Kollegen, die anderen vier in Business auf rechts, sich gelangweilt die Fingernägel feilend. Dabei hätte man von rechts herrlich den Kangchenjunga sehen können, den dritthöchsten Berg der Welt, im Grenzgebiet zu Sikkim.

In Gongkar war es dann viel unkomlizierter und längst nicht so martialisch wie erwartet. Unser tibetischer Guide heißt Laba und war nett und gesprächsbereit. In der Stadt haben wir dann unseren Olympiaradler Eckhard aufgelesen, der ist über andere Wege nach Tibet gereist und nun sind wir vollzählig, eine fast reine Männerrunde, verwegene Gesellen! Nur Silke vertritt die Damenwelt: eine Alexandra David-Neel unserer Zeit.

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Durga Puja

Auf dem Dach der Welt, 27.09. bis 22.10.2011

Heute im Telegrammstil, denn es ist spät und will geruht werden:

Alle gut geflogen und gelandet. Alle aufrecht dem Ansturm, den Kathmandu den Sinnen bietet, standgehalten. Durga Puija oder Dasain, das größte hinduistische Fest des Landes, das Blut von Wasserbüffeln und maximaler Tumult. Außerdem kommt es plötzlich und sturzartig vom Himmel. Wie sich Straßen doch schlagartig leeren können, wo sich der Mensch doch überall hinquetschen kann. Kumari, die lebende Göttin, schaut kurz und huldvoll zu ihrem Volk hinunter (5 Jahre alt). Am Abend bekommen wir endlich unsere Tika, unser drittes Auge, gute Reise! Lang lebe Subeechya und ihr lang lebe ihr Vater Bharat!

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Es sind stürmische Zeiten

Auf dem Dach der Welt, 27.09. bis 22.10.2011

Sensationelle Neuigkeiten: meine Anreise nach Kathmandu verlief recht reibungslos. Zur Feier des Tages also ein kurzer Prolog, meine Gruppe kommt erst morgen früh hier an. Und ich scharre bereits respektvoll mit den Hufen: die Tibet-Tour wartet, erbarmungslose Winde, eisige Höhen, große Weiten, vollendete Ruhe.

Die Nacht in den Osten ist natürlich traditionell kurz, deshalb noch immer Schlafdefizit. In Bangkok hat eine nasse Wand gewartet. In Bangkok war ich eine Nacht, ich wohne dort am Rand der Chinatown, und siehe da, das vegetarische Fest der Auslandschinesen war mal wieder voll im Gang. Das sind enorme Feierlichkeiten die jährlich stattfinden, die schmalen Gassen sind mit noch mehr Essens-und Einkaufsständen als sonst verstopft, die meisten Leute bewegen sich in unbeflecktem Weiß durch die Gegend. Das Zentrum des Festes bilden ausgerechnet Tempel und Parkplatz direkt vor meinem Gästehaus, was einerseits spannend ist, anderseits höchste Ausgeglichenheit erfordert. Spätestens wenn die chinesische Operntruppe loslegt, das hat sie gestern etwa zeitgleich mit meiner Ankunft getan. Dann ist an Ruhe nicht mehr zu denken, und zwar Tag-und Nacht, eine knappe Woche lang. Vor ein paar Jahren war ich zufällig während der gesamten Dauer des Festes in meinem Gästehaus und kam mir ausgesprochen ruhebedürftig vor, eine Woche auf dem Balkon, den Blick träge über den Fluss schweifen lassen etc. Aber sie ließen sich natürlich nicht lumpen, die Opernstars. Bei diesen Opern gibt es nachts Stunden, da spielen sie praktisch für sich selber, was zutiefst rührend ist finde ich (wenn entsprechend ausgeglichen).

Also nicht viel Schlaf. Das Kantipur Temple House in Kathmandu wiederum ist ein Hort des Friedens, aber um es herum: Tumult, Tumult! Der Regen prasselt unberechenbar vom Himmel, der Sommermonsun hat das Tal noch immer im Griff, die Altstadtgassen dampfen und das Leben tobt wild und anarchisch vor sich hin.

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