Terrassenfelder – soweit das Auge reicht

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Von Walnut Garden nach Baoshan

Mit Sack und Pack fahren wir zur Fähre bei Daju und queren zum ersten Mal den Yangzi, der hier noch Goldsandfluss heißt. Anscheinend macht er hier seinem Namen alle Ehre, wir bestaunen die Goldwäscher und ich muss unwillkürlich über Wasserqualität nachdenken. Nach einer kurzen Bootsfahrt steigen wir wieder ins Auto um. Es wird immer wärmer, und einem nach dem anderen fallen die Augen zu. Rechtzeitig zum Beginn der Terrassen, die sich immer höher in den Berg ziehen, wachen wir auf und verlangen nach einem Fotostopp. Ich komme mir vor wie ein Pauschaltourist und freue mich um so mehr auf die morgige Wanderung.

Baoshan ist ein nettes Örtchen am Hang des Yangzi. Seine Geschichte reicht bis in die Mongolenzeit zurück. „Etwa 1270 sind hier etliche Eroberungsschlachten geschlagen worden“, erklärt uns ein Einheimischer, als wir die Steinfestung von Baoshan besichtigen (die erstaunlicherweise noch keinen Eintritt kostet), ein Aussichtsturm, der hoch über dem Fluss thront. Einige Zeichen auf der Eingangstafel sind uns Wanderern schon bekannt, eines davon ist natürlich der Berg. Im Ort hat es sich herumgesprochen, dass Ausländer angekommen sind – nicht zu Eroberungszügen, sondern um ein paar Tage zu wandern. Natürlich waren unsere Gepäckberge, auf Pferderücken vom Parkplatz durch das Dorf getragen, nicht zu übersehen.

Den restlichen Nachmittag verbringen wir bei einer netten Familie und betrachten das Hofleben. „Hier passen alle auf die Kinder auf, sogar die Männer“ bemerkt Irene erstaunt. Die Oma befreit Maiskolben von ihren Enden, ihre Tochter kocht, die Männer versorgen die Pferde – alle sind geschäftig und kümmern sich zwischendurch um den Kleinen. Nach einigen Minuten hat er die Angst vor uns abgelegt und freut sich über den Bartwuchs der Ausländer. Gut gesättigt fallen wir bald (müde vom Nichtstun) ins Bett.


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Erste Schritte

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Vom Naxi Guesthouse nach Walnut Garden, 19 km, 5h 30min reine Gehzeit, 700 m Aufstieg

Heute stand unsere erste und weiteste Wanderung an. Neun Stunden lang waren wir unterwegs, sind über Wasserfälle gelaufen, haben ziemlich geschwitzt und literweise Wasser getrunken, unzählige Fotos und eine längere Pause im einem der Guesthäuser unterwegs gemacht.
Die Tigersprungschlucht ist eine der tiefsten Schluchten der Welt. Bei 1800 m rauscht der Yangzi der weit entfernten chinesischen Ebene entgegen, der Wanderweg schlängelt sich auf 2.400 m durch die Schlucht und auf der anderen Uferseite fällt die Wand des Jadedrachenschneebergs fast senkrecht ab – einige tausend Meter tief, das Auge kann es nicht wirklich erfassen – der drachengezackte Gipfel (5.596m) ist aber heute weitgehend wolkenverhangen. Ich finde das Panorama immer wieder atemberaubend und bin mit meinen Bildern nur mäßig zufrieden.

Außer uns waren nur eine Handvoll Menschen oben in der Schlucht unterwegs. Auch im Walnut Garden Guesthouse ist es bis auf die Bauarbeiten für den Anbau ruhig. „Auf der Straße hat es wieder einen Erdrutsch gegeben“ ist Lucys Erklärung dafür. „Seit drei Monaten kann kein Auto die Schlucht passieren, wir haben gerade mal ein Auto hier, klettern über die Steine und steigen auf der anderen Seite um.“ Wer die Kosten für die Aufräumarbeiten trägt, sei nicht klar, und solange bewege sich nichts. Hier zeigt die Natur wieder einmal, dass durch den Berg gesprengte Straßen eben seinen Preis haben.

Lucy ist die Tochter des Hüttenwirts und wird uns in den nächsten Tagen begleiten. Sie heißt uns in ganz passablem Englisch willkommen und wir besprechen die Details der Wanderung, trinken ein sauberes Bier und verabreden uns für acht Uhr zum Frühstück. Früher aufstehen lohnt nicht, weil es keine frühere Fähre gibt.


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Wollt ihr nicht doch reiten?

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Von Qiaotou in die Tigersprungschlucht zum Naxi Guesthouse, 6 km, etwa 2 Stunden reine Gehzeit

Wir hatten uns am Morgen um sieben Uhr zum Frühstück verabredet (zu dem Zeitpunkt wird es in Yunnan gerade hell), um das Hotel pünktlich um acht Uhr zu verlassen. Mit einigen Zwischenstopps –natürlich müssen wir unseren ersten Yangziblick festhalten und die berühmte erste Biegung bei Shigu betrachten, die verhindert, dass der Fluss wie der benachbarte Mekong und der Salween nach Süden abfließt und stattdessen die Biege Richtung Osten macht– gelangen wir per Auto an den Anfang der Tigersprungschlucht. Ich kenne die Tour sonst nur vom Rad aus und muss mich beherrschen, nicht ständig laut Vergleiche anzustellen, was mir aber schlecht gelingt. Nach einer guten Portion gebratener Nudel, die Sabine und Lutz nicht ganz vertilgen wollen, geht es endlich in die Berge.

Es ist immer wieder schön, hier zu sein. Nicht nur wegen der fantastischen Landschaft, der tollen Schmetterlinge und artenreichen Flora oder vielleicht der einfach stimmigen Architektur der Hütten, sondern vor allem der Menschen wegen ist diese Schlucht etwas Besonderes. Unterwegs hat man die Gewissheit, auf einige Nationalitäten zu stoßen, mit denen man (soweit man eine gemeinsame Sprache findet), ohne störende Hintergrundkulisse Geschichten auszutauschen kann. Heute war es eine Gruppe Australier mitsamt dem Inhaber einer kleinen Reiseagentur, ein Thema war natürlich das nachhaltige Reisen mit kleinen Gruppen in reizvollen Gebieten. Selbst der lokale Pferdebesitzer („Wollt ihr nicht doch reiten?“), der geschlagene zwei Stunden bergauf mit uns keinen Umsatz machen konnte, schien nicht weiter genervt, dass wir auch morgen seine Dienste nicht in Anspruch nehmen wollen.

Wir sind bei idealem Wetter und einer kurzen Tour in einer komfortablen Berghütte untergekommen. Nette Besitzer, kunstvoll geschnitzte Holzfenster, TV und eigene Dusche, Blick auf den Jadedrachenschneeberg, es gibt Kaffee und gekühltes Bier (heute kein schmutziges, die Dusche war einfach zu verlockend). Kurz, uns geht es gar nicht mal so übel. Morgen wandern wir weiter durch die Schlucht, danach ist Schluss mit sämtlichem Hüttenluxus und wir betreten die Laowai- und pancakefreie Zone.


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Auf nach Yunnan

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Heute stand der Transittag in den Südwesten an. Nach zwei Flügen, einiger Verspätung und einem Zwischenstopp im brandneuen Kunming Airport kommen wir am späten Nachmittag in Lijiang an. Auf der Fahrt in die Stadt fahren wir vorbei an Reis- und Maisfeldern, Tabakanbau und vielen kleinen Dörfern. Die Autobahn ist in diesem Jahr auch fertig geworden, aber anscheinend benutzen die Einheimischen doch lieber die hier parallel verlaufende Landstraße. „Die Maut ist ganz schön teuer, und auf dem alten Weg sind wir fast genauso schnell da“ meint unser Fahrer. Den restlichen Tag verbringen wir damit, durch die Altstadtgässchen zu schlendern und zu staunen. Dazu mehr, wenn wir nach der Wanderung hier einen Ruhetag einlegen.

Auf der siebentägigen Wanderung, die morgen startet, bewegen wir uns hauptsächlich fernab jeglicher Zivilisation. Keine Hupen, keine Shops und rivalisierende Diskotheken, aber auch kein Internet. Der nächte Blogeintrag wird also etwas auf sich warten lassen. Was wir uns jetzt wünschen würden, ist wenig oder lieber gar kein Regenwetter, drückt uns mal die Daumen.

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Wo sind sie denn, die Massen?

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

1,5 km einfach, 400 HM, auf der Mauer bei Huanghua

Es war wohl Andreas, der diese Frage zum ersten Mal ausgesprochen hat. Bekannte hatten von Massen berichtet, sie sich an Verkaufsbuden vorbeischlängeln, um das berühmte Foto fürs Familienalbum zu machen. Wer nie die Mauer bestiegen hat, kann nicht als echter Chinese durchgehen, so oder ähnlich lautet ein chinesisches Sprichwort, an das ich mich dunkel aus dem Sprachunterricht an der Uni erinnere. Also, wo waren sie dann, die Massen, an diesem Tag mit Bilderbuchwetter, ein paar weiße Wölkchen auf blauem Grund, Zikadengezwitscher, eine Sonne, die nicht mehr ganz unbarmherzig vom Himmel brennt… einfach ideal für einen kleinen Spaziergang auf der Mauer, dem Bauwerk, dass man zwar nicht vom Mond aus sieht, an dem aber sämtliche Dynastien seit dem ersten Kaiser gearbeitet haben, um die Barbaren in ihre Schranken zu verweisen, also außerhalb des Reichs der Mitte. Wobei es schwer vorstellbar ist, wie ein Reitervolk aus dem Norden zumindest an dieser Stelle die Berge bezwingen soll, um überhaupt erst zur Mauer vorzudringen. Steil geht es bergauf und bergab, immer am Kamm entlang, es ist eine schweißtreibende Angelegenheit, die einiges an Konzentration erfordert.

Jedenfalls waren wir allein dort, um der Fantasie freien Lauf zu lassen und uns anrückende Barbaren und bestechliche Soldaten auszumalen. Nur auf dem Rückweg trafen wir auf die obligatorische Handvoll Westler, die auch auf diesem steilen Stück unterwegs waren.

Einige Stunden später, zurück in der Stadt, haben wir sie doch noch angetroffen, die Massen: im Olympischen Gelände, zwischen Vogelnest und Schwimmstadion. „Hier muss man gewesen sein“ war der Kommentar unseres Fahrers, als ich über die Kolonnen parkender Busse gestaunt hatte. Wir diskutieren ein wenig über Nutzung eines solchen Geländes (wenn die Touristenströme einmal ausbleiben sollten)…

Krönender Abschluss des Tages war die Pekingente, die zu einem letzten Abend in der Hauptstadt unbedingt dazu gehört. Im Hotel kamen uns unerwartet zwei bekannte Gesichter entgegen: Tom und der Rest der Reisegruppe, die gerade frisch mit dem Rad aus Irkutsk eingetrudelt waren. Gratulation nochmal zu dieser 4000 km Tour. Unsere Reise führt uns morgen in aller Frühe nach Yunnan, die Wanderung kann beginnen.


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Die Klassiker

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Eigentlich wollen wir wandern. Nicht unbedingt in Beijing, aber wenn man so weit fliegt und noch im Jetlag steckt, kann man sich ruhig die Klassiker der Hauptstadt anschauen. Ausgeschlafen und voller Eindrücke soll es dann in die Berge gehen, so ist der Plan.

In den letzten beiden Tagen haben wir zu fünft etliche Kilometer in der Stadt zurückgelegt. Auf dem Programm standen die großen Bauprojekte, die die Mingkaiser nach der Verlegung der Hauptstadt nach Beijing als erstes in Angriff genommen haben und die sich bis heute kaum verändert haben: Trommel- und Glockenturm, Himmelstempel und die Verbotene Stadt sind weitläufig angelegt, voller Symbolik und erzählen Geschichten von mächtigen Kaisern, Eunuchen und Konkurbinen, filmreifen Familienintrigen und den unzähligen Zeremonien, die ein Herrscher abhalten musste, um das Mandat des Himmels nicht zu verlieren

Unterwegs bewegen wir uns möglichst durch die Hutongs und meiden den Lärm der Hauptstraßen. Das kleine Hofhausviertel um unsere traditionelle Herberge herum ist für mich kaum wiederzuerkennen. In den letzten Jahren hat sich das beschauliche Viertel in eine durchgestylte Flaniermeile für jüngere Chinesen (und den einen oder anderen Ausländer) verwandelt. Die Cafés sind wie Pilze aus dem Boden geschossen, dazwischen Hochglanzläden, die den neusten Trendtee in sämtlichen Farben anbieten, Tattoostudios, Bars und und und. Ich suche vergeblich nach der Massagebude gegen die Flugzeugnackenstarre und mein Lieblingsrestaurant ist auch verschwunden. Aber es gibt sie noch, die ursprünglichen Wohnviertel, in dem die Pekinger bei lauen Temperaturen vor dem Haus sitzen, Schach spielen oder mit dem Nachbarn plaudern – nicht selten in Schlafanzügen, weil es so schön bequem ist.

So pendeln wir zwischen Kaiserzeit (den besagten Bauprojekten), dem quirligen Parkleben des Himmelstempels (sämtliche Formen von Tanz und Gesang), dem Konsumrausch (Perlenmarkt) und Erinnerungen an Mao und Co (am Platz des Himmlischen Friedens), zwischen Baugruben und Trendvierteln, zwischen Metro und Aussichtshügel, bis wir es uns zum Abendessen auf einer gemütlichen Dachterrasse bei chinesischen Leckereien gut gehen lassen.

Wir haben längst nicht alles gesehen, was in anderthalb Tagen möglich wäre, aber das war nicht unser Ziel. Morgen wollen wir die Stadt hinter uns lassen, ein Stückchen auf der Mauer wandern und uns auf die Wanderung in Yunnan einstimmen.

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