Die Mauer und das Vogelnest

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Hier kommt nochmal Monika zu Wort und es geht um unseren schönen Abschlusstag gestern. Heute ist Abreise und alles driftet schweren Herzens auseinander, Frank und Lutz habe ich bereits zum Flughafen gebracht, wir anderen sammeln uns gerade in den ruhigen Innenhöfen des Lüsongyuan-Hotels. Gleich ein letztes gemeinsames chinesisches Essen. Es war eine gelungene Tour, da muss man nicht viel drumherum reden. Dieter, danke für Deine Mühen und Technical Support, Monika, danke für Deine Kreativität, Hermine, Martin, Michael, Frank, Lutz: danke dass ihr dabei und so unkompliziert ward. Alle sind sie spätestens morgen früh daheim, hoffe ich mal, ich selber fahre noch für eine Woche in die Innere Mongolei und erkunde dort einige Routen, mit Che zusammen (vielleicht schreibe ich einen Eintrag darüber, mein Mitteilungsbedürfnis wird langsam pathologisch). Also, Monika:

Unser letzter gemeinsamer Tag. Und es wird ein besonders schöner. 70 km im Norden von Peking dürfen wir fast völlig alleine ein Stück auf der ‚wilden‘ Mauer entlanglaufen. Nur ein paar Libellen begleiten uns. Steil geht es bergauf und bergab. Die Landschaft um uns herum ist traumhaft grün, fruchtbar und hügelig. Wir können die Mauer weit, weit mit den Augen verfolgen. Von einem Horizont bis zum nächsten. Keine gerade Linie, sie windet sich am Grat entlang, schlängelt sich durchs Tal, wird durch einen See mit Flußlauf unterbrochen. Immer wieder von Wachtürmen begleitet. Mal ein Stück restauriert, dann wieder grün überwachsen und zerfallen. Eines der größten Bauwerke der Menschheitsgeschichte. Ich sehe sie das erste Mal: Gänsehaut bei 35° Grad.

Ein kleines Restaurant grillt uns einen Fisch und außerdem gibt es Esel. Mit Sojasoße. Frank schluckt und verzichtet. Ein Zimmer gäbe es auch zu mieten. Vom Bett aus hat man eine sensationelle Sicht auf die Mauer. Falls das zu langweilig ist – da wären auch noch zwei Fernseher. Jan veranstaltet ein kleines Feuerwerk. Böller, Rauch, Schwarzpulvergeruch. Die Reise ist zu Ende. Alle Heil. Kein Sturz. Gratulation!

Auf der Rückfahrt dann noch das Olympiagelände mit Vogelnest. Jetzt also wieder ein völlig anderer Baustil. Neueren Datums- aber auch spektakulär. Über die Tartanbahn flitzen Touristen mit Rollatoren. Von einem Extrem ins andere. Das hatten wir auf der Reise schon oft. Und noch ein Highlight. Was isst man in Peking? Genau! Ente! Der Koch zelebriert. Schneidet die Haut filigran vom Vogel. Zerlegt ihn scheibchenweise und setzt ihn ohne Knochen wieder zusammen. Es schmeckt so wie die ganze Reise war. Eigenständig. Nicht vergleichbar mit anderen Dingen. Großartig!
Mein persönliches Fazit der Reise. Ich habe ein ganz anderes China kennengelernt. Wilder, trockener und realer. Nicht lieblich. Manchmal und für manche von uns zu real. Aber auch schroffe Landschaften haben ihren Reiz. Wir haben über Hitze und Kohleminen geschimpft, standen fassungslos vor dem Anblick des Karakorum und ich kann mich auch noch gut an den glänzenden Mondsichelsee im Abendlicht erinnern. Die mythischen Märchen, die flammenden Berge. Und..und..und. Keine gemeinsame Jurtenübernachtungen mehr und was soll ich bloß zu Hause essen? Nur ein Gericht? Selber aussuchen? Nicht mehr Stäbchenstochern?

Und ich fand unsere Gruppe toll. Jan kannte ich – den Rest nicht. Ich habe alle ins Herz geschlossen. Ob ich wohl ohne GPS ins Büro finde?

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Immer schöne Aussichten

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Kühl hier in Beijing, wenigstens wenn man das Thermometer begutachtet. Gerade mal 30 Grad, da müssen wir Wüstenfüchse uns doch ein Lachen verkneifen. Der Temperatursturz wird allerdings durch die Luftfeuchtigkeit wettgemacht, als wir aus dem Flugzeug stiegen lief der Schweiß, das muss man zugeben. Heute aber war es luftig, ein Luftkurort, dieses Peking. Der Smog wurde weggeblasen und wir hatten eine gute Sicht in alle Richtungen, und das obwohl der Himmel bedeckt war. Immer schön, über das Wetter zu reden, oder? Wie man hört war der Juli ja recht durchwachsen in Deutschland.

Eine gute Aussicht hat man z.B. vom Aussichtshügel (Jingshan) direkt nördlich der Verbotenen Stadt. Lang lang ist es her, da hieß man ihn den „Berg des langen Lebens“ (Wansuishan). Zumindest bis sich der letzte Ming-Kaiser dort einsam und verlassen erhängt hat, danach fand man den Namen unpassend. Unter Ausländern spricht man vom „Kohlhügel“ und dafür gibt es keinen Grund von dem ich wüsste, vielleicht wurde am Fuß des Hügels mal Kohle gestapelt und ein ausländischer Gesandter fand das besonders spannend. Im Park um den Hügel ist heutzutage immer was geboten, unter anderem Gesang und Geschrei (hört sich für die meisten von uns ja ähnlich an, klassische chinesische Musik eben). Von den Pavillons auf dem Hügel gibt es großartige Perspektiven, in erster Linie natürlich vom Palastgewirr der Verbotenen Stadt, von alten Bauten wie dem Trommelturm oder der Weiße Pagode im Beihai-Park. Aber heute hatten wir auch gute Sicht auch auf neue Wahrzeichen der Stadt. Beijing kann sich in dieser Hinsicht vielleicht nicht mit Shanghai messen, aber der Jet-Set internationaler Stararchitekten darf sich auch hier austoben, mit mal mehr und mal weniger glücklichen Ergebnissen: das Nationaltheater von Paul Andreu liegt wie ein UFO inmitten eckiger Formen und Harmonien, das CCTV-Gebäude von Rem Kohlhaas beherrscht in der Ferne das Geschäftszentrum der Stadt. Gestern sind wir wieder durch das monumentale, futuristische Terminal 3 des Hauptstadtflughafens gewandert, welches von Norman Foster entworfen und 2008 fertiggestellt wurde.

Vom Tor des Himmlischen Friedens schließlich hat man einen guten Überblick auf den größten innerstädtischen Platz der Welt – den Tian’anmen Guangchang – mitsamt den pompösen Bauten drumherum (Neugestaltung des Nationalmuseums: Gerkan und Partner). In der Verbotenen Stadt dagegen ist alles beim Alten, wenn auch mittlerweile das meiste schön und filigran restauriert. Viele Menschen verlieren sich irgendwann in den gewaltigen Weiten der Anlage. Aber das dauert eine Weile, der Rummel wird immer mächtiger und nach einem richtig ruhigen Plätzchen muss man schon suchen, weit drinnen in den Nebenpalästen. Wenn man z.B. ein Nickerchen machen will… Der Himmelstempel ist weniger dicht, viel Grün und mehr Luft zum Atmen.

Also volles Programm heute, und das bei wenig Schlaf und viel Lauferei. Konditionell ist die Truppe in einem Top-Zustand, zäh und erfahren auch im Umgang mit kulturellen Dingen. Akrobaten-Show abends, kein Problem, nur her damit. Aber schon das Zuschauen: unfassbar, diese Verbiegerei, diese Schwerelosigkeit und diese Kraft. Wenn man selber gerade mal einen Purzelbaum hinkriegt und drei von vier Rollen rückwärts scheitern.
Die Nacht umschmeichelt Beijing, ein spätes Abendessen auf einer Dachterrasse und von unten die Polyphonie der chinesischen Hauptstadt.

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Die Duftende Konkubine

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Heute Morgen waren wir am Grab von Ikparhan, der Duftenden Konkubine. Sie liegt vereint mit vielen ihrer Vor-und Nachfahren im Abakh Hoja-Mausoleum, benannt nach ihrem gerühmten Großvater, der im späten 17. Jahrhundert Führer über die Oasenstädte des westlichen Tarim-Beckens war. Die Westgebiete hatte sich das chinesische Kaiserreich bereits zur westlichen Han-Dynastie, im 2. Jh. v. Chr., Untertan gemacht. In der Folge war das heutige Xinjiang mal mehr, mal weniger unter chinesischer Kontrolle. Mongolische, tibetische, osttürkische Herrscher wechselten sich ab in ihrer Herrschaft über Khanate und über Verbünden von Oasenstädten und waren zumeist vom chinesischen Kaiserhof geduldet (dessen Motto: „mit den Barbaren die Barbaren regieren“). Erst im 18. Jahrhundert, unter dem Qianlong-Kaiser, wurden die Zügel wieder gestrafft. Xinjiang wurde Provinz mit einer chinesischen Bürokratie, und das war die Zeit, in der dem Kaiser die Duftende Konkubine aus Kashgar zugeführt wurde. Was mit den beiden geschah, ist eine Frage der Interpretation: eine Version lässt sie den Annoncen des Kaisers standhaft verweigern, bis dessen Mutter sie schließlich zum Selbstmord trieb. Eine andere Version sagt ihr eine tiefer Zuneigung zu ihrem neuen Herrn nach, und ein hohes Alter. Die Bandbreite reicht also von uigurischer Joanne D’Arc bis zum Symbol freiwilliger Unterwerfung.

Bis heute ist sie für viele Uiguren ein Symbol ihres Unabhängigkeitskampfes. Es war wahrscheinlich nicht die Sehnsucht nach Unabhängigkeit, welche die jüngsten Unruhen verursacht hat: vor zwei Wochen gab es viele Tote in Hotan, am südlichen Rand der Taklamakan, in den letzten Tagen dann in Kashgar. Explosionen, Messerstechereien, die Gründe sind in beiden Fällen bisher ungeklärt bzw. wieder eine Sache der Interpretation. Die kulturellen Unterschiede zwischen Han-Chinesen und Uiguren sind groß und die Kontrolle in Politik und Wirtschaft wird zu einseitig gehandhabt. Die Spannung ist greifbar. Wir kamen mit beiden Gruppen gut zurecht, aber gemischt findet man sie eigentlich nie an. Von den Anschlägen haben wir erst heute Morgen mitbekommen, das Militär war plötzlich omnipräsent, ganze Stadtteile waren abgeriegelt und Straßensperren wurden errichtet. Äußerst martialisch. Möglicherweise ist es auch kein Zufall, dass die Vorfälle kurz vor dem Hilal passierten, dem gerade zunehmenden Mond, welcher in diesen Tagen den Ramadan einläutet. Die Atmosphäre wird dadurch zusätzlich aufgeladen.

Man könnte noch so viel schreiben über die Provinz, über die Widersprüche und ihrer Einzigartigkeit. Von den unwirklichen, lebensfeindlichen Landschaften und die grünen Oasen. Ich glaube wir alle waren fasziniert von ihr. In Kashgar sind wir zum Schluss auf das Dach eines hohes Wohngebäudes gestiegen und haben in der Ferne die Schneeriesen des Karakorum bewundert, den Kongur und den Mustagh Ata. Nördlich davon den Hohen Pamir. Hermine hatte glänzende Augen, und Martin hat voller Sehnsucht in Richtung des Khunjerab-Passes geschaut, auf pakistanischer Seite standen die beiden schon und haben sich überlegt, wie es wohl in Kashgar so ist. Jetzt wissen sie es, es ist inspirierend, trotz der halb-abgerissenen Altstadt, trotz den Unruhen der letzten Tage. Statt dem Karakorum-Highway aber jetzt schnöde ab ins Flugzeug, immer nach Osten.

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Markt in Kashgar

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Heute wieder von Monika. Schreibt sie nicht toll?!

Jan hat ja gestern über die Altstadt und Geschichte berichtet. Und über unser Hotel. Das Aufwachen in den Zimmern ist jedenfalls ein Erlebnis. Von fern krähen die Hähne, auch der Muezzin darf hier rufen. Diffuses Tageslicht fällt durch bestickte Vorhänge auf üppige, aber zusammengetretene, alte Teppiche. Über uns – reichhaltig verzierte, rosa und himmelblau glitzernde Stuckdecken….

Sonntag ist Markttag in Kashgar. Märkte – das sind die Orte, die uns Reisende locken und immer wieder begeistern. Voller Kommunikation und Emotion. Vielschichtig zusammengesetzt aus Geräusch, Geruch, Geschmack und viel Gefühl. Nach dem heutigen Tag kann ich sagen – man muss den Markt von Kashgar gesehen haben. Ja, man muss!!!

Zu acht sitzen wir auf der Ladefläche eines Motorradtaxis und folgen den anderen Transportmitteln, die Ziegen und Schafe geladen haben oder ein Pferd neben sich herlaufen lassen. Der Viehmarkt ist ein riesiger Platz. Prüfend werden Viehmäuler aufgerissen – Esel schreien lauthals. Neben seltsam aussehenden Fettsteiß-Schafen sind Ziegenherden aufgereiht und fast wie Zöpfe zusammengeflochten. Rinder, Kälber und Yaks werden von Laderampen gezerrt. Ein Esel ist entwischt, keilt aus – ein schönes, feuriges Tier. Der Besitzer hängt schreiend am Schwanz. Viehhandel ist Männersache: Geldbüschel werden gezählt und misstrauisch nochmal gezählt, Gezeter, Verhandlungen. Dann Handschlag. Jedes einzelne uigurische Gesicht mit den typischen Mützen und Bärten ist ein Foto wert. Die Staubwolken von scharrenden Tieren mischen sich mit dem Rauch der Essensstände. Große Fleischspieße sind vorbereitet, riesige Suppenkessel kochen vor sich hin. Flammen schlagen aus den Eisenöfen. Hochmütig aussehende Kamele biegen um die Ecke.

Wir brauchen eine Pause, suchen eine Teestube und landen in einem uigurischen Wohnzimmer. Einfach so. Ein kleiner Plausch auf der Straße, wir werden gastfreundlich herein gewunken und mit Tee, Brot, Melonen und Süßigkeiten bewirtet. Im Hof des Hauses meckert das soeben auf dem Viehmarkt erworbene, noch lebende Abendessen. Der Gastgeber freut sich über unseren Besuch und möchte nichts annehmen. Ob wir wohl ein Foto schicken können? Sorgfältig malt er die Adresse in uigurischen Schriftzeichen auf einen Zettel. Die Hausfrau zieht sich noch rasch für das Gemeinschaftsfoto um.

Wir laufen an Melonen-Hochgebirgen vorbei. Wer isst die vielen Früchte wenn wir nicht mehr da sind? Auf anderen, meterhohen Bergen von getrockneten Aprikosen sitzen Männer beim Mittagessen. Pflücken trotz riesiger Zahnlücken direkt die Hammelstücke vom Spieß. Hühner und Tauben werden flügelschlagend in Kisten gesteckt. Junge Männer lassen zerfledderte Kampfhähne aufeinander los. Sittiche und Papageien tschilpen in den Käfigen auf dem Vogelmarkt. In einem Hinterhof stehen 10 Kamele – ob wir Kamelmilch trinken wollen? Kinder hüpfen aufgeregt um uns herum.

Das ist noch lange nicht alles. Die Eindrücke stürzen ungebremst auf uns ein. Die ersten von uns lassen erschöpft die Kameras und sich selbst auf ein wackeliges Holzstühlchen sinken. Markttage sind anstrengend und beglückend. Brauchen gutes Schuhwerk und Gelassenheit. Schade wir die Erlebnisse nicht komplett übertragen können. Mit allen Sinnen.

Ja – man muss den Markt in Kashgar gesehen haben!

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No sdarowje, Nikolai Petrovsky!

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Wir sind im Seman-Hotel abgestiegen, das eine geheimnisumwitterte Geschichte hat: vor über hundert Jahren war hier das Konsulat des zaristischen Russland untergebracht, der Sitz des wortkargen Gesandten Nikolai Petrovsky. Sein englischer Gegenspieler George Macartney residierte derweil im Chini Bagh nicht weit entfernt davon, heute auch ein Hotel. In Kashgar liefen zu jener Zeit die Fäden des „Great Game“ zusammen: die Briten wollten ihr Indien schützen und die zentralasiatischen Khanate und Stämme nördlich davon zu Verbündeten machen, die Russen wollten ihre Einflusssphäre nach Süden ausdehnen. Es ging dabei auch um Bodenschätze – vor allem Erdöl – und um die Vermessung eines Gebietes, welches bis dahin nahezu unbekannt war. Beide Seiten schickten geheime Missionen, etwa als buddhistische Pilger oder Kaufleute verkleidete Spione, über die Täler und Pässe des Pamir, Karakorum, Kunlun. Diese sollten Wege auskundschaften und neue Gegenden erschließen. Und alle diese Abenteurer kamen schließlich in Kashgar vorbei, bei den Macartneys u.a. Legenden wie Sven Hedin, Aurel Stein, Paul Pelliot, Albert von Le Coq und die Brüder Roosevelt. Wir haben uns trotzdem für den Zuckerbäckerstil der Gegenseite entschieden.

Die Leute von Kashgar sind extrem spannend, mittelalterliche Szenen spielen sich noch heute ab, die Fassaden dahinter jedoch bröckeln bzw. stürzen mit bedrohlicher Geschwindigkeit ein. Die Altstadt war noch letztes Jahr ein undurchschaubares Gewirr aus zweistöckigen Lehmbauten. Der Abriss war auch da teilweise bereits vollzogen, jetzt aber wüten die Abrissbirnen im ganzen Gebiet und lassen Brachflächen und geziegelte Einheitsarchitektur zurück. Wie das Nichts in der Unendlichen Geschichte. Es ist eine Schande und es ist furchtbar kurzsichtig. Das „residents resettlement project“ betrifft über 50 000 Uiguren, man reißt jahrhundertealte Strukturen ab mit dem Hinweis auf Erdbeben-und Feuergefahr (ähnliche Argumente wie im Peking der 90er, wo auch so viel von der Altstadt zerstört wurde). Natürlich werden Teile davon zu einer „Neuen Altstadt“ geformt werden, wie das in vielen chinesischen Städten der Fall ist, dort werden dann die Touristen durchgeschleust. Keine Ahnung warum das alles nicht behutsamer und in Absprache vonstatten gehen kann, die Situation zwischen Han-Chinesen und Uiguren ist ohnehin angespannt. Zu viele Interessen im Spiel, und man lebt schließlich nur einmal.

Bei einem traditionellen Barbier war ich heute übrigens auch, die wird es immer geben. Ein stets archaisches und sympathisches Vegnügen. Frank saß hinter mir und hat Kommentare fallengelassen, die nicht hilfreich waren. Faconschnitt, Konfirmanden-Frisur, sogar die Hitlerjugend wurde ins Spiel gebracht. Dabei wurde er zuerst frisiert und wollte nur seine obligatorische 1mm Frisur haben – eine Marke, die weit unterboten wurde. Sind ja nur Frisuren, wächst ja alles wieder. Den Bart lasse ich noch etwas fuseln, um die Wildheit echter Abenteurer vorzutäuschen und Seidenstraßen-Romantik zu versprühen.

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Soft-Sleeper + Schmutzbier

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Unglaublich dass wir hier im Zug sitzen und mal eben den Blog ins Netz stellen können, kurz hinter Korla. Wieder von Monika, mittlerweile unter tätiger Mithilfe der ganzen Bande (nur ich verschlafe wie immer fast die ganze Fahrt):

Zugfahren in China bedeutet eintauchen in das wahre Leben. Zu neugierigen, niedlichen Kindern – alle mit Einheits-Bürstenfrisur – schnarchenden Omas, energischen Zugschaffnerinnen. Eigentlich wäre ein Hardsleeper lustiger. Das ist offener und intensiver. Von Geruch bis Kommunikation. Wir haben die Luxusvariante mit 4 Betten erwischt und stapeln das Gepäck im oberen Bett. Michael rüttelt prüfend an der Aufhängung und wünscht dem Unterschläfer ‚viel Glück‘.

Die Sonne klatscht aufs Abteil – Windräder drehen sich still in der Landschaft. Berge ziehen vorbei. Zeitlupentempo. Dieter installiert wieder mal das GPS – kann ja sein der der Lokführer Hilfe bei der Routenwahl benötigt. Chinesen lugen in unser Abteil und fotografieren uns. Manchmal fragen wir uns, wer mehr Photos macht. Wir von ihnen? Vermutlich eher umgekehrt. Wer von uns nicht rechtzeitig hinter einen Kohlenhaufen hechtet oder sich in einem Gebüsch versteckt (was zugegebenermaßen in der Wüste eine echte Herausforderung darstellt) wird gnadenlos in digitale Pixel verwandelt und stolz der interessierten Verwandtschaft gezeigt.

Wir haben Muße den Kopf zurückzulegen und all die Erlebnisse zu reflektieren. Die mystischen Geschichten die uns Jan erzählt hat – von den flammenden Bergen, schwarzen Katzen, Spinnen die Höhlen zuweben, Prinzessinnen mit Eisfächer die die brennende Hügel zum Erlöschen bringen.

Aber auch weitere ganz reale, alltägliche und doch hochgeschätze Rituale wie das Schmutzbier. Das beginnt mit dem Einrollen in eine Stadt oder Dorf, die leicht klebrig-salzige Schweiß-Sonnencreme-Mischung auf der Haut und die Euphorie etwas getan zu haben. Das Triumphgefühl in der Kühltruhe eines winzigen, verstaubten Ladens exakt die benötigte Anzahl an gekühlten Tsingtao-Beer zu erbeuten. Das schmatzende Geräusch des Bierdeckel-Öffnens, die leicht beschlagene grüne Flasche in der Hand und der genussvolle erste Schluck….

Ganz skurril – unser Begleitauto-Fahrer hat uns zum Abschied 36 Flaschen geschenkt. Das mit dem Schmutzbier hat er wohl relativ schnell verstanden. Davon haben wir 5 Flaschen in den Zug gerettet. Schmutzbier geht auch im Zug… dann halt ohne Schmutz bzw. anderer Schmutz halt. Wir schauen aus dem Fenster – der Plan mit unseren letzten feuchten Tüchern die Scheiben von außen zu reinigen ist leider an mangelnder Zeit und energischem Zugpersonal das uns im letzten Moment am Aussteigen und Reinigungsvorhaben hinderte, gescheitert. Also lugen wir durch Staubschlieren hindurch: Grassteppe, sanfte Hügel, steil abstürzende Felswände, dazwischen ducken sich Jurten, schmiegen sich in Senken. Reiter auf gedrungenen Pferden galoppieren die Gleise entlang, dann eine Yakherde. Wir driften über das Gebirge auf knapp 3000 m so langsam in die chinesische Nacht….

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Was macht eigentlich

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

– Ronaldinho? Er spielt bei Flamengo, man hat ihn ja aus den Augen verloren, den Guten. In China wird er ewig leben, und zwar auf Cowboyhüten. Ich kann nicht sagen, wann das Phänomen der Ronaldinho-Hüte aufgekommen ist, wahrscheinlich während seiner Glanzzeit bei Barca. Ein findiger Unternehmer hat jedenfalls irgendwann seinen Namen auf Cowboyhüte gedruckt und damit einen Klassiker der neueren chinesischen Hutmode geschaffen, seit Jahren sieht man diese Kopfbedeckungen nun, überall, auf den Köpfen von Wanderarbeitern, Touristen, Straßenkehrern.

Man müsste eigentlich nicht über Ronaldinho schreiben, wir haben ja wieder viel erlebt heute. Just jetzt kommen wir zurück von einer fürchterlichen Völlerei, aus einem weinumrankten Restaurant, drei uigurische Hochzeitspaare sind dort hintereinander eingelaufen. Erst um 22:00 trudelten die Leute ein und schlürften ihren Aperitif, etwa ein Gläschen Limonade. Wir sollten unsere Uhren auf Xinjiang-Zeit zurückstellen, sonst kapieren wir irgendwann gar nichts mehr. Man lebt ja doch sehr nach der Uhr.

Turfan wird seinem Ruf als die heißeste Stadt Chinas gerecht, man maß auch heute wieder gut über 40 Grad. Die Hitze ist erträglich, weil trocken, das Leben läuft einfach etwas langsamer ab. Radfahren wäre trotzdem kein Genuss gewesen, wir haben uns chauffieren lassen. Zunächst zum Emin-Minarett, dem Wahrzeichen der Stadt, einem wunderschönen Ziegelturm aus dem 18. Jahrhundert. Er steht inmitten von Weinbergen, das ist das andere Wahrzeichen Turfans: Weintrauben. Die Ernte ist in vollem Gang. Luftige Lehmgebäude verteilen sich über die Landschaft, zum Trockenen der Trauben. Die meisten davon werden nämlich zu Rosinen verarbeitet, für Wein sind sie etwas zu süß. Es ist ja auch überwiegend muslimisch hier (aber: auf der Rückseite der Eintrittskarte zum Emin-Minarett war Werbung für chinesischen Schnaps gedruckt. Das ist Pragmatismus). Selbstverständlich gibt es auch trockenen Roten aus Turfan, die erste Verkostung fiel durchschnittlich aus.

Wir sind dann weitergefahren zu dem Dorf Tuyoq. Man muss dort Eintritt zahlen, außerdem Eintritt zu den Mazar, den Gräbern islamischer Heiliger. Fast ein kleines Freilichtmuseum und zudem wurde dort gerade ein Film gedreht (über einen großen uiguirischen Führer, Name vergessen, Freund der Chinesen). Wir hatten dennoch eine sehr schöne und entspannte Zeit vor Ort. Zu den Gräbern pilgern die Gläubigen im Sonntagsstaat. Die Lehmarchitektur fügt sich herrlich in die Landschaft ein, in die Flammenden Berge. Wie die der Bezeklik-Grotten, die wir auch noch besucht haben. Von der großen Kunst ist vor Ort nur noch wenig übrig, erst kamen die muslimischen Bilderstürmer und zerkratzten fast alle Gesichter der buddhistischen Höhlenmalereien, dann kamen die Deutschen (Anfang des 20. Jahrhunderts, Albert Grünwedel und Albert von Le Coq) und schnitten die meisten Fresken von den Wänden. Diese liegen nun in Berlin-Dahlem, wenn sie nicht bei den Luftangriffen während des 2. Weltkriegs zerstört worden sind, man sollte mal wieder nach Dahlem und ihnen Respekt erweisen.

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Wind

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Das Folgende hat wieder Monika geschrieben, ich habs halt gut…

Ich habe Jan versprochen gelegentlich ein paar Blog-Zeilen zu verfassen. Dafür schraubt er am Fahrrad herum oder besorgt ein kaltes Bier. Faire Arbeitsteilung also. Ich frage ihn nach dem heutigen Wunschthema (Briefing nennen das die Texter). Schreib doch mal was über ein völlig abwegiges Thema meine er: z.B. Wind.

Das war heute unser zweit-meistbenutztes Wort. Deutlich überrundet aber von dem Ausruf ‚WOW!‘

Die genannt Luftbewegung kann stark oder schwach ausfallen. Zärtlich streicheln und die Hitze verjagen. Hämisch von vorne fauchen und die Kraft aus denn Beinen saugen . Wie ein guter Freund die Hände auf die Schulterblätter legen und gleichmäßig schieben. Oder die ganz fiese Art – seitlich kommen und mit voller Wucht versuchen den Fahrer aus der Spur werfen. Heute gab es das ganze Portfolio.

Eigentlich ist die Stecke heute 180km lang. Praktisch nur bergab. Jan klaut uns gleich morgens die ersten 40 Kilometer. Aus der Stadt raus geht es mit dem Auto. Zuerst mal Fahrräder suchen. Das Hotel hat unsere Stahl-Rösser gut verwahrt. So gut dass keiner mehr weis wo. Wir befreien sie aus einem verwinkelten Kellerverlies, heben sie auf die Ladefläche und dann eine Stunde später runter.

Unser Wind-Freund hat schon auf uns gewartet und setzt uns gleich energisch in Bewegung. Ob wir wollen oder nicht. Glücklicherweise haben wir uns für die gleiche Richtung entschieden und machen Strecke. Noch ist es eben, keine Steigung nach oben oder unten. Pappeln biegen sich im Wind. Getreidefelder in heftigen Wellenbewegungen sind besonders schön anzusehen. Die Landschaft ist – nun ja WOW! Wir winken dem Bogda-Bergen einen letzten Gruß zu und biegen in eine Art Canyon ein. Dazu müssen wir ca. 250 m gegen den Wind anradeln und brauchen dazu etwas so lange wie für die nächsten 25 Kilometer. Es bläst uns praktisch rückwärts bergauf.

Dann geht es wieder bergab. Auf einer wenig benutzten Autobahn jagen wir mit dem Wind um die Wette. Er schiebt. Wir bremsen. Er schiebt mehr. Wir bremsen dann irgendwann nicht mehr und jagen lauthals jauchzend talwärts. Bis zu 60 Stundenkilometer sind wir schnell. Leichtsinnig? Ja! Aber … geil!!!

Am Ende des Canyons stehen Hunderte von Windrändern – der zweitgrößte Windpark der Welt. Die letzten Kilometer kämpfen wir mit dem Seitenwind. Fahren in der Mitte der Straße, liegen völlig quer und uns hinterher erleichtert in den Armen. Wir schaffe es gerade noch nicht völlig verblasen auf den seitlichen Schottersteinen zu landen. Nie – wirklich nie zuvor haben wir solche Windstärken erlebt.

Michael rettet sich die letzten Meter mit dem fünften Platten zu unserem Fahrzeug, das uns wieder einsammelt. Hinten, vorne, hinten usw. Ständig fehlt die Luft. Die Schweizer halt. Schuldbewusst schaut er aufs Vorderrad.

Alles was wir nicht festhalten ist weg. Unwiederbringlich.

Was bleibt in Turfan. Ein Abschied von den Rädern. Ein traumhaftes Abendessen auf dem Nachtmarkt. Eine Karaoke-Nacht und das Wissen, einen unvergesslichen Tag erlebt zu haben.


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Push, push!

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Das erste Foto unten habe ich gerade eben gemacht, beim Geldabheben. Zum Glück kann ich ein paar Schriftzeichen, so etwa das Zeichen für „Ziehen“ (la). Sonst wäre ich wahrscheinlich nie bis an den Automaten gekommen. Denn ist es nicht fantastisch, dass man an den Eingängen einer der größten Banken der Welt, der Bank of China, „Push“ darunter gedruckt hat?

Solche Schilder findet man überall, manche Autoren werden mit „Chinglish“-Bücher reich. Diese Bücher können durchaus zum Schmunzeln anregen, eine große Leistung verbirgt sich aber nicht dahinter, originell sind sie schon gar nicht. In China wird fast jede Übersetzung vom Google-Translator erledigt, oder vom eigenen Nachwuchs. Im Land fristen Myriaden anglophoner Backpacker ihr Dasein, ein paar von ihnen für einfache Übersetzungen einzustellen, das wäre doch mal was. Was aber nun wahrscheinlich wieder sehr deutsche Überlegungen sind: das Chinglish spiegelt das Ungestüme, Provisorische wieder, man weiß meistens dann doch, was gemeint ist, man hat in jedem Fall mehr Spaß und schmunzelt sein leicht chauvinistisches Schmunzeln.

Zufälligerweise habe ich heute noch so eine Stilblüte aufgenommen: in der fidelen Parklandschaft des Hongshan, wo die Leute lachen, tanzen und singen. Wir sind also durch Urumqi gestreift, nach dem Hongshan das Provinzmuseum, diesmal mit dem nötigen Ernst (hier sind die Jahrtausende alten Mumien besonders, welche man in der Taklamakan gefunden hat. Bestens konserviert, einige von ihnen mit eurasischen Zügen). Und später sind wir dann zum Großen Basar und der muslimischen Altstadt gefahren, in ein Fest für die Sinne. Fortbewegt haben wir uns zu Fuss oder mit dem Taxi, in Urumqi gibt es eine Häufung an Schwarztaxis. Man steht an der Straße und hebt die Hand, dann lässt man sich überraschen, welches Fahrzeug zum Halten kommt. Kann wirklich alles sein, oft einfach Familienväter, die ein paar Yuan auf dem Weg verdienen wollen.

Der alte Basar wurde abgerissen und die neuen Gebäude sind steril, die Menschen lassen sich nicht einfach runderneuern. Vor allem die Gegend um den Basar herum und durch das Geflecht von Gassen nördlich davon ist toll, die Atmosphäre eher Mittlerer Osten als Volksrepublik China (wurde mir gesagt, ich selber war da noch nie). China ist der wichtigste Handelspartner für alle zentralasiatischen Länder und Urumqi erste Anlaufstation, die muslimische Präsenz ist eher neu und nichts Alteingesessenes wie in den Oasenstädten Kashgar, Hotan, Hami. Urumqi ist eine junge Stadt, bemerkenswert erst ab der mittleren Qing-Dynastie, ihre Geschichte ist eher Hanchinesisch geprägt.

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Ein Paradies für Landratten

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Monika hat zu viel Energie. Ihre Annahme, als Kind ein Kraftwerk verschluckt zu haben, ist richtig. Zwischen zwei harten Etappen zieht sie noch mit der Jugend von Barkol die halbe Nacht um die Häuser. Am Himmelssee war Sie erschüttert (nicht übertrieben!), nach 110km nicht noch die extremen Steigungen zum Himmelssee hochfahren zu dürfen, während wir anderen (ich jedenfalls), insgeheim wohlig aufseufzten. Jetzt schreibt sie Gastkommentare, klar dass Monika nicht ausgelastet ist. Das ist jetzt meine dritte Reise mit ihr, jedesmal gab es zum Schluss der Tour eine Lesung ihrer Reiseimpressionen, das war immer toll, ich hoffe und denke auch diesmal, weil sie ja nie schäft. Und schön dass sie mir einen Eintrag macht, am Himmelssee konnte ich abends gedankenlos vor mich hinsummen ohne mir Gedanken machen zu müssen, warum…

Noch kurz zum heutigen Tag: über belebte Straßen ging es vom Himmelssee nach Urumqi, der Hauptstadt von Xinjiang, rein in die Menschen. Die Provinz ist dramatisch dünn besiedelt, gerade mal 20 Millionen leben hier auf einer Fläche, die ein Sechstel der gesamten Volksrepublik (oder fast 5x die Fläche von Deutschland) ausmacht. Nicht so Urumqi: eine relativ neue, exponentiell wachsende, Han-chinesische Stadt. Viele Menschen leben hier, fast 3 Millionen – erstmal gewöhnungsbedürftig, zumindest bei der Einfahrt.

Und was ist Dekadenz? In Urumqi Sushi zu essen, und zwar nicht zu knapp. In Urumqi, der Hauptstadt der Provinz Xinjiang, der am weitesten vom Meer entfernten Stadt der Welt. Egal, abends im populärsten Buffet-Restaurant der Stadt gab es alles, wir mittendrin, gerade noch vor dem Verhungern errettet.


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